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  • Politik
  • Gespräch mit dem Moderator Hans-Georg Knörich über eine abgewickelte Kultsendung

»Ad libitum« doch nicht beliebig

  • Lesedauer: 6 Min.

? Herr Knörich, mir steht ein trostloser Sonntagmorgen bevor. Seit Jahren gehörte »Ad libitum« zum Sonntag wie das Salz zum Frühstücksei, nun ist es aus mit der Musi. Wie konnten Sie uns das

antun? ???

Hans-Georg Knörich ist Rundfunkmann seit 40 Jahren, zuletzt moderierte er die musikalische Kult-Sendung »Ad libitum - Musik nach Belieben« auf Radio Brandenburg, das soeben abgewickelt wurde. Angefangen hatte er im DDR-Rundfunk mit Schallplatten-Informationssendungen. Als Moderator von Jazz- und Wunschkonzerten und als Nachrichtensprecher wurde seine Stimme Millionen Hörern vertraut. ND sprach mit dem Moderator über seine letzte Erfolgssendung, die nun Radio Eins weichen mußte.

ND-Foto: Burkhard Lange

darauf schließen läßt, daß die Hörer über 45 weitgehend abgeschrieben sind. Aber es ging hier wohl vor allem auch um finanzielle Erwägungen. Das öffentlichrechtliche Radio Eins ist mischfinanziert, das heißt: Es fließen auch Werbegelder. Und die Werbefirmen versprechen sich eben mehr Kaufbereitschaft von einem jungen Publikum. Ähnliche Erfahrungen gab es bei dem privaten Oldie-Radio »50 plus«. Das war für Leute jenseits der Fünfzig gedacht,,hat sich dann aber in seiner musikalischen Orientierung bald wieder auf die 30 und 40jährigen ausrichten müssen.

? Haben Sie im Funk für Ihre Sendung gestritten?

Wie denn? Meine zwei festangestellten Mitredakteure haben mir im Auftrag der Leitung übermittelt, daß meine Sendung in keinem der neuen Programme vorgesehen sei, das war's dann. Ich fand es nicht gerade berauschend, daß nicht ein einziger leitender Mitarbeiter angerufen und sich bedankt hat für die fünfeinhalb gemeinsamen Jahre. Um so wohltuender die Zuwendung der Hörer, als die mitgekriegt hatten, daß es zu Ende ging: Unsere Leitungen waren überlastet, einige haben geweint am Telefon.

? Saßen auch Fans im Sender selbst?

Zumindest am Anfang nicht. Da gab es heftige Diskussionen mit den Redakteuren der verschiedenen Musikgenres. Die Klassiker sagten: Wozu denn Rock und Pop! Die »Rocker« wieder hielten die Klassik für deplaziert, und ich war drauf und dran, das Handtuch zu werfen. Aber dann kam uns die Idee, die Hörer einzubeziehen, um ihre Meinung zu erkunden. Eine kleine Preisfrage in jeder Sendung sollte den Kontakt knüpfen. Es war ja nicht viel zu gewinnen, 'ne CD oder Konzertkarten, also mehr so ein Spaß, aber der wurde angenommen. Und wie sich herausstellte, in zunehmendem Maße: Unsere Telefonistin hatte bald »die Ohren voll«, wenn man das so sagen darf.

? Ein bißchen Ostalgie war nicht auch im Spiel?

Ich glaube nicht. Wir haben bei Musikwahl und Rätsel sehr darauf geachtet, daß auf die unterschiedlichen Erfahrungen und Erinnerungen der Hörer in Ost und West Rücksicht genommen wurde.

Das war ein zusätzlicher Reiz des Programms, wie die Resonanz zeigte. Die reichte übrigens bis nach München: Eine Dame von dort hörte uns regelmäßig, wenn sie in Berlin war, wir haben auch in der letzten Sendung einen Wunsch von ihr erfüllt. Stammhörer hatten wir aber vor allem auch im Mitteldeutschen Raum, so lange wir dort noch per Kabel empfangen werden konnten. Warum das plötzlich abgebrochen wurde, weiß ich nicht, vielleicht hat jemandem dort die Brandenburger »Konkurrenz« nicht gepaßt. Viele Hörer haben sich dann eine spezielle Antenne aufs Dach gebaut, damit sie uns weiter hören konnten.

? Es geht eben nichts gegen die vertrauten Technologien der sächsischen Westantennen Marke »Ochsenkopf«. Aber selbst damit sind Sie ja nun leider seit kurzem nicht mehr zu empfangen.

Was unser Publikum fassungslos und sehr enttäuscht zur Kenntnis nahm. Wir waren ja inzwischen bei der 295. Folge von »Ad libitum« angelangt. Man schaltete Sonntag morgens schon begierig Radio Brandenburg ein, um zu erfahren, was für eine historische Fassung des St. Louis-Blues denn diesmal zum Auftakt erklingen würde, welche Rarität von Elvis zur Halbzeit und welcher unbekannte Glenn Miller zum Schluß: Wer mitschnitt, hatte im Lauf der Jahre eine wertvolle Discographie.

? Trotzdem keine Übernahme? Sieht ganz so aus, als wäre das Publikumsinteresse nicht unbedingt das wichtigste Kriterium für die Rundfunkreform gewesen.

Es ist schon seltsam, dieses plötzliche Einvernehmen zwischen Rosenbauer und von Lojewski, die sich doch so lange Zeit in Kriegsstimmung gegeneinander befanden. Ich denke, hier gings für zwei Sender ums Überleben. Zwei Kleine sind finanziell zusammen logischerweise besser abgesichert als jeder für sich alleine.

? Hatte man nicht den Mitarbeitern auch Sicherheiten versprochen bei der Neuformierung ihrer Sender?

Das hat man auch gehalten, bei den Festangestellten zumindest. Aber ich bin ja frei und nur für die eine Sendung engagiert gewesen.

? Die freien Mitarbeiter haben sich aber auch gewehrt und um Übernahme ihrer Verträge gekämpft, leider nur die vom SFB. Die Freien aus dem Osten schwiegen, wenn auch ausgesprochen vorwurfsvoll.

Ich kann meine jüngeren Kollegen gut verstehen: Wer will schon anecken und seinen Job verlieren? Jeder hofft ja zunächst erst mal, daß er den seinen behalten kann. Ich weiß aber vom Hörensagen, daß viele Westberliner Kollegen mit den Ossis nichts zu tun haben wollten. Trotzdem sind einige nun auch über-

nommen worden. Ich bin 66 und relativ fein raus.

? »Mit 66 Jahren«, hieß es mal in einem Titel, den Sie sicher selber schon irgendwann aufgelegt haben, »fängt das Leben erst an«

Ja, ja, ich weiß. Man hat mir empfohlen, zu Spreeradio zu gehen, aber was sollte ich da machen? Ich hätte nicht die Möglichkeiten individuellen Gestaltens, die ich bei Radio Brandenburg hatte. Ich hab ja viel aus meiner eigenen Sammlung dort eingebracht. Das ist bei Spreeradio gar nicht möglich, die haben ihre festgelegte deutschsprachige Musik, das ist alles bißchen einseitig. Und völlig digitalisiert, ich könnte dort keine Platten abspielen. »Antenne Brandeburg«? Vielleicht. Aber Klinken putzen geh ich nicht.

? Tun Sie's doch mal mir zuliebe, ich hätte noch so manchen Musikwunsch.

Da können sie lange warten. Aber darin müßten Sie als Stammhörer ja Übung haben: Es war schon manchmal Geduld nötig, bis wir das gewünschte Schmekkerchen ausgebuddelt hatten. Ein Jahr war ich mal auf Hörerwunsch dem Soundtrack eines Durbridge-Krimis hinterher. In der hintersten Ecke eines Kramladens in der Wilmersdorfer Straße von Charlottenburg lag er dann, in einem verstaubten Stapel mit Singles. Ein Krimi für sich.

? Wo haben Sie denn die vielen Aufnahmen vom St. Louis-Blues herbekommen?

Zum Beispiel hab ich viel profitiert von einem großen Versandhaus in Nordrhein-Westfalen, das Beziehungen bis Amerika, Japan und Australien unterhält. Und dann hab ich die Stadtbibliothek aufgesucht, oder im Deutschen Musikarchiv in Lankwitz recherchiert und vieles umschneiden lassen. Das hätte noch lange so weitergehen können mit meinen musikalischen Wiederentdeckungen.

? Mercifür das, was Sie für uns gefunden haben. Auch an Ihre Telefon-Assistentin Gaby übrigens, die am Ende immer die Gewinner bekanntgegeben hat. Geht's ihr gut?

Danke der Nachfrage. Gaby ist ja eigentlich bei der BVG angestellt. Sie fährt Straßenbahn und hat Dank der Großzügigkeit ihres Brötchengebers ihren Dienst so einrichten können, daß sie stets pünktlich Glücksfee spielen konnte. Die Gaby hat ja nie gefehlt. Sie hat ihren Jüngsten freitags entbunden, und Sonntagfrüh war sie wieder auf dem Sender. Ihr verdank ich meine Hörerkontakte. Kurz vor Schluß der letzten Sendung hatte ihr noch ein Tierarztehepaar angeboten, ein gro-ßes Treffen der Stammhörer zu organisieren. Aber so was ist kaum zu machen: Die kriegt man ja gar nicht alle auf einmal unter.

Gespräch: Peter Berger

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