Der Putschtag wird »Tag der Einheit«
Auch 25 Jahr nach Staatsstreich keine Versöhnung Von Marek Höhn, Santiago de Chile
Das ganze Land war Zeuge: Am 19 August unterzeichneten Senatspräsident Andres Zaldivar - wahrscheinlich kommender Präsidentschaftskandidat der Christdemokraten - und der ehemalige Diktator und jetzige Senator auf Lebenszeit Augusto Pinochet eine Übereinkunft, die den 11. September als Feiertag beseitigt und zum »Tag der nationalen Einheit« erklärt. Nicht nur wurde durch den Handschlag ein weiteres Mal deutlich, daß die militärische Fraktion mit Pinochet an der Spitze in Chile nach wie vor ein Machtfaktor erster Ordnung ist. Das »historische Abkommen« zwischen der Regierungskoalition »Concertacion« und den einstigen Putschisten entpuppte sich zugleich als politisches Manöver zur Demonstration angeblich erfolgreicher Festigung der Demokratie. Der Feiertag, zu Zeiten der Pinochet-Diktatur (1973-90) eingeführt als Tag der »Rettung vor der marxistischen Gefahr«, war den Militärs längst unbequem geworden. Denn während sie - gemeinsam mit den Repräsentanten der Regierung den Feierlichkeiten in der Kadettenschule
beiwohnten, gedachten andere des blutigen Sturzes der Unidad-Popular-Regierung unter Salvador Allende auf den Stra-ßen. Jedes Jahr nutzten Zehntausende den arbeitsfreien Tag, um durch das Zentrum der Hauptstadt Santiago zum Zentralfriedhof zu marschieren, die Opfer der Militärdiktatur zu betrauern, die Bestrafung ihrer Mörder zu fordern, soziale Gerechtigkeit und wirkliche Demokratisierung zu verlangen. Immer wieder kam es dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, oft genug von den »Ordnungskräften« provoziert.
Ein wirklicher Feiertag ist der 11. September für viele Chilenen nie gewesen. Vielmehr symbolisierte er für sie Verrat, Feigheit und militärische Gewalt. Ebenso wenig kann nun die »nationale Einheit« gleichsam per Dekret verordnet werden. Die chilenische Gesellschaft ist 25 Jahre nach dem Staatsstreich der Generale um Augusto Pinochet von einer Aussöhnung weit entfernt, was nicht zuletzt daher rührt, daß die Hauptverantwortlichen der damaligen Menschenrechtsverbrechen bis heute straflos geblieben sind. Mehr noch: Staatsterrorismus und die systematische Vernichtung politischer Gegner sollen vergessen gemacht werden - in diesem Bemühen verbünden sich die Christdemokraten mit dem einstigen Putschistenchef. Es steht zu erwarten, daß diese Art der »Aussöhnung« am bevorstehenden 11. September aufheftigen Widerstand stoßen wird.
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