Junge Mutter vorm Höhenflug

Sumo: Sandra Köppen kurz nach der Entbindung wieder im Training

Dünn ist die Luft hier, sehr dünn sogar. Sandra Köppen tritt in die Pedalen und schnauft. In 3000 Meter Höhe wird der Sauerstoffanteil in der Atemluft nun mal deutlich geringer. Zwar sitzt die 30-Jährige hier nur im fünften Stock eines Plattenbaus in Berlin-Hohenschönhausen, aber die Höhenkammer der Tosma GmbH simuliert einen »Sauerstoffpartialdruck« wie auf dem Gipfel eines veritablen Dreitausenders. Behauptet jedenfalls der Betreiber Dr. Ullrich Fuchs, der einst auch in der einzigen Höhenkammer der DDR - in der Sportschule Kienbaum - mitarbeitete. Der Körper des Leistungssportlerlegt sich in der Höhe Reserven an, von denen er im Wettkampf zehrt.
Deswegen sitzt auch Sandra Köppen hier auf dem Ergometer und strampelt sich ab. Höhentraining, zwei Wochen lang täglich 90 Minuten. »Die Kammer ist perfekt für mich«, sagt die Sportsoldatin der Bundeswehrfördergruppe Frankfurt/Oder. Kondition kann sie hier bolzen und gleichzeitig die Beine trainieren, die wichtigsten Muskeln für den Sumo-Sport, ohne extra in die Berge zu reisen. Sandra Köppen ist ehrgeizig. Bei den World Games im Juli in Duisburg will sie im Sumo »mindestens eine Medaille. Sonst lohnt es nicht «, sagt sie. Schließlich ist sie seit ihrem Sieg 2004 in Riesa amtierende Weltmeisterin. Bei den World Games gehört sie zu den bekanntesten Sportlern, denn sie ist auch eine großartige Judoka. Als ihren größten Erfolg nennt sie Platz Fünf bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Judo ist der Sport, mit dem sie anfing, und er steht in der Bedeutung für Sandra Köppen immer noch vor dem Sumo, obwohl sie erst als Sumo-Berühmtheit mit dem Wettkampfgewicht von 130 Kilo in Fernsehshows wie »Kerner« eingeladen wurde.
Hinter der Plexiglaswand der Höhenkammer sitzt Sandra Köppens Mutter Barbara, daneben ein Kinderwagen: Darin liegt Marie-Luis, Sandra Köppens Tochter, gerade acht Wochen alt. Als Sumo-Kämpferin ihrer Mutter vergangenes Jahr die Schwangerschaft verkündet hatte und auch ihren Entschluss, drei Monate nach der Entbindung bei den World Games im Juli in Duisburg zu starten, wusste Barbara Köppen gleich, dass die Tochter nicht nur so daherredet: »So ist eben Sandra. Wenn sie etwas sagt, dann macht sie es auch.«
Und dabei hilft Mutter Köppen ihrer Tochter und deren Lebensgefährten Wolfgang Zuckschwerdt, der gleichzeitig auch Sandras Trainer bei der PSG Dynamo Brandenburg ist. Alle zusammen wohnen sie auf einem Bauerngut in Schenkenberg bei Brandenburg, wo alles auf Sandras Karriere abgestimmt ist. Natürlich übernimmt Mutter Köppen auch das Babysitting.
»Bis jetzt klappt alles prima mit Marie-Luis«, freut sich Sandra Köppen und winkt ihrer Mutter und der Tochter durch die Glasscheibe zu. »Dass es bei mir mit dem Stillen nicht funktioniert hat, passt da eigentlich ganz gut.« Dank Nuckelfläschchen und Ersatzmilch könne sie schon wieder ordentlich trainieren. Ob sie denn keine Beschwerden habe? »Och, ich soll mich zurückhalten, sagt der Arzt. Aber eigentlich fühle ich mich bestens«, sagt sie und strampelt weiter. In diesem Jahr wolle sie noch an die deutsche Spitze im Judo, nächstes Jahr will sie auch international wieder glänzen. »Olympia 2008 bleibt mein großes Ziel.«
Sie liebt und lebt Judo. Sumo bleibt nur ein »Ausgleichssport«, wie sie zugibt, aber ein sehr schöner. »Bestimmt könnte ich mich beim Sumo auch besser vermarkten.« Doch das liegt ihr fern. Sumo steht für dick und spektakulär. Bei etlichen TV-Sendungen saß sie schon als Vorzeige-Schwergewicht auf dem Podium. »Vera am Mittag und wie die alle heißen«, sagt Sandra Köppen. Mittlerweile meide sie aber solche Auftritte, denn ihre guten Absichten ließen sich »einfach nicht rüberbringen. Dass auch "Schwere" sich bewegen, Sport treiben und Höchstleistung bringen können, das will am Ende ja doch keiner hören.« Also verzichtet sie auf Talkshow-Blabla und lässt Taten sprechen. Zu beobachten in vier Wochen bei den World Games, wenn Familie Köppen mit drei Generationen in der Sumohalle aufkreuzt.


Sumo
Geschichte:
1500 Jahre alter Ringkampf aus Japan, früher in die Hofzeremonien des Kaisers eingebunden. Heute sind die besten Kämpfer Profis, nationale Berühmtheiten und Millionäre. Seit 1995 haben die Amateure das Sumo für Frauen eingeführt - Grundvoraussetzung, um irgendwann vom IOC als olympische Sportart anerkannt zu werden.
Regeln: 4,55 m im Durchmesser misst das kreisrunde »Dojo« aus Lehm, auf dem die Kämpfer versuchen, den Kontrahenten entweder zu Boden oder außerhalb des Ringes zu befördern. Bekleidet sind sie nur mit einem Mawashi - jenem sechs Meter langen Tuch, das gefaltet und gewickelt die einzige erlaubte Bekleidung der Kämpfer ist (Frauen dürfen außerdem einen Gymnastikanzug tragen).
World Games Gewinner 2001: Japan, Brasilien, Tonga (je 2 mal Gold), Russland (1).
Deutsche Beteiligung 2005: Peer Schmidt-Düwiger (Berlin/- 85 kg), Edward Grams (Ingolstadt/-115 kg), Jörg Brümmer (Berlin/+ 115 kg), Steffi Müller (Rostock/ -65 kg), Nicole Hehemann (Osnabrück/-80 kg), Sandra Köppen (Brandenburg/+80).
Deutsche Spitzenvereine: KiK Berlin, PSG Dynamo Brandenburg, Osnabrücker TB.
Verbände: Sumo-Verband Deutschland e.V. (2000 Mitglieder): www.sumo-verband.de, International Sumo-Federation www.amateursumo.com
Austragungsort: Duisburg, Landschaftspark Nord, Kraftzentrale, 18.7. - 20.7.

Bisher erschienen: Beachhandball (9.6.), Kraftdreikampf (26.5.0), Squash (28.4.), Speedskating (7.4.), Rugby (17.3.), Sportklettern (10.2.), Flossenschwimmen (20.1.).

http://www.nd-online.de/rubrikspweltspiele.asp

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