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  • Politik
  • Wirbel um Briefe von Hitler und Heß an Ernst Jünger

Engherzige Umarmungen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einem, Jahr starb Ernst Jünger. Wortführer eines sich überschlagenden Nationalismus, «ein unverbesserlicher lebenslanger Soldat. Ein gestelzter Pathetiker. So die einen, die ihn verachteten (Walter Jens, F.J. Raddatz). Andere bewunderten ihn als präzisen Beobachter und intellektuellen Anreger ersten Ranges (Rolf Hochhuth, aber auch Heiner Müller und Stephan Hermlin).

Diese seltsame Frontenbildung irritiert. Etwas kann nicht stimmen mit den klaren und eindeutigen Zuordnungen zueinem politischen Lager. Das wäre auch absurd bei jemandem, der 102 Jahre alt wurde und von 1920 (»In Stahlgewittern«, erste Fassung) bis 1997 (die Alterstagebücher »Siebzig verweht V«) nahezu ununterbrochen publiziert hat. Ist es eigentlich so schwer vorstellbar, daß der heimgekehrte Weltkriegsleutnant Jünger in den 20er Jahren anders dachte als der 100jährige Greis?

Die postumen Vereinnahmungskämpfe um das Werk Ernst Jüngers haben begonnen. Soeben .präsentierte Heimo Schwilk in der »Welt am Sonntag« in rei-ßerischer Aufmachung die Tatsache, daß es Briefe von Hitler und Heß an Jünger gebe. Wertende Briefe. Das kann eigentlich niemanden wirklich verblüffen. Jünger selbst hat über die Versuche der Nationalsozialisten geschrieben, ihn für ihre Politik zu gewinnen. Zweimal boten sie ihm ein Reichstagsmandat für die NSDAP an und hätten ihn nach 1933 gern an der Spitze einer »rein deutschen« Dichterakademie gesehen. Aber Jünger wollte kein Reichstagsmandat und trat nicht in die »gesäuberte« Akademie ein. Er war kein Antisemit im Sinne der Nazis, auch kein Kommunistenfeind, und außerdem liebte er Frankreich.

Das alles ist längst bekannt. Natürlich ebenso, daß er mit seinem unmäßigen Haß auf die Weimarer Republik Mitschuld trägt an ihrem Untergang.

Jüngers Nationalismus und seine Begeisterung für alles Soldatische enden 1933. »Kriegerische Existenz« bedeutet nun für ihn immer mehr die Verteidigung eines geistigen Raumes. Die Schrift »Der Friede« von 1943/45 kursierte als au-ßenpolitisches Programm der Wehrmachtsverschwörung vom 20.. Juli 1944.

Nach dem Krieg dann hat Jünger auch sein Denken entmilitarisiert, ist er zunehmend ein Miniaturist des Schauens geworden. »Subtile Jagden« heißt ein Buch über die Passionen des Insektenforschers, der er war. Nicht nur in »Drogen und Rausch« suchte er die Nähe zum Surrealismus, wurde er zum Traumchronisten. Diese Bücher gefielen den Nationalkonservativen dann überhaupt nicht mehr. Ebenso wie die umfangreichen Tagebuchsammlungen, die allesamt Formen nüchterner Selbstbeobachtung sind - das Gegenteil von Heroisierung. Hier vor allem zeigt sich Jüngers eigentliches und bleibendes Verdienst, noch dem kleinsten Gegenstand etwas an Bedeutsamkeit abzumerken.

Alfred Andersch hat die von Anfang an offenliegende Konfrontation der Weltanschauungen in der Interpretation Jüngers bemerkt und gefolgert, es werde immer eine Jüngersche Linke und Rechte geben.

Die Linke ist diejenige, die sich von Jüngers kalt zergliederndem Blick fasziniert zeigt. Heiner Müller etwa übernahm die »Ästhetik des Schreckens« - Kunst

unter einem negativen Vorzeichen, die Provokation alles Vorfindlichen bis zur Schmerzgrenze sein will. Und Franz Fühmann schrieb 1982 über Ernst Jünger in einem Brief: »... es ist eine merkwürdige Mischung von höchst ärgerlich (zum Teil tuts weh) und grandios. Ich ahne jetzt, woraufs ihm ankommt. Wenn sich bestätigen sollte, was ich da ahne, spielt er für die historischen Prozesse so eine Rolle wie Freud für die individualpsychischen. Er versucht, die Bewegungsgesetze des Untergrunds aufzudecken.«

Die Jüngersche Rechte aber stellt die Weltanschauungsthemen der 20er Jahre in den Vordergrund. Jünger, der ewige Nationalist.

Nun also titelt Heimo Schwilk (Mitherausgeber der »Selbstbewußten Nation«) »Ernst Jünger - Adolf Hitler. Die Briefe«. Vier Stück insgesamt, die drei von Hitlers damaligem Sekretär Rudolf Heß schon mitgezählt. Sie enthalten nur nichtssagende Floskeln. So schreibt Hitler 1926 in seinem einzigen eigenhändig verfaßten Brief an Jünger.- »Sehr geehrter Herr Jünger! Ihre Schriften habe ich alle gelesen. In ihnen lernte ich einen der wenigen starken Gestalter des Fronterlebnisses schätzen. Mit um so größerer Freude empfing ich seinerzeit Ihr persönlich übersandtes Buch >Feuer und Blut< mit der freundlichen Widmung. Nachträglich herzlichen Dank dafür.« Der »Welt am Sonntag« ist das eine Doppel-Seite wert. Auf der verbreitet sich der Jung-Nationale Heimo Schwilk über sein Lieblingsthema - den Nationalismus. Das soll, so ist angekündigt, in Fortsetzungen so weitergehen. Denn Schwilk, Redakteur der »Welt am Sonntag«, schreibt gerade eine Jünger-Biographie. Schon jetzt läßt sich erahnen, worum sie zu kreisen gedenkt. Nicht den Künstler Jünger in seinem Lebenswiderspruch, sondern den nationalistischen Agitator der 20er Jahre, mit freundlicher Nachsicht bedacht.

Zur heilsamen Korrektur solch engherziger Umarmungen kann man da nur Jüngers Briefwechsel mit dem surrealistischen Maler Rudolf Schlichter von Mitte der 30er Jahre empfehlen. Dieser, von Verbot bedroht, hatte Jünger um ein positives Gutachten seiner Bilder gebeten. Jünger antwortet: »Die Aufgabe schien mir absurd wie in der umgekehrten Welt, denn eigentlich haben diese Leute doch bei uns den Nachweis zu führen, daß sie überhaupt*Menschen sind.«

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