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  • Politik
  • Erna Pinner und Kasimir Edschmid - Briefe veranschaulichen Zeitgeschichte

Die Nähe so fremd

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Das sei keine Briefedition im üblichen Sinne, sagt* Ulrike Edschmid bei der Buchpräsentation im Berliner Literaturhaus Fasanenstraße. Keine Dokumentation, kein Zeugnis philologischer Akribie. Das interessiere in diesem Falle niemanden. Was ist es denn, was ich da gerade gelesen habe, dieser über 30jährige Dialog in Briefen zwischen Kasimir Edschmid und Erna Pinner? Ein Stück Literatur, sagt Ulrike Edschmid. Nichts habe sie erfunden, aber vieles verdichtet, zusammengezogen. Damit die merkwürdige und unbefriedbare Unruhe im Verhältnis zweier schöpferischer Menschen ins Zentrum gerückt.

Kasimir Edschmid und Erna Pinner haben jeweils mehr als 60 Bücher veröffentlicht. Lieferbar sind von Kasimir Edschipid heute noch drei, von Erna Pinner keine. Das die harten Fakten vom Buchmarkt.

Ulrike Edschmid und der Luchterhand Verlag waren also gewarnt, als sie begannen, diese »Geschichte in Briefen« zu erzählen. Die Berliner Senatsverwaltung hat über ihr Frauenförderprogramm das Projekt unterstützt, ganz unbürokratisch, betont Ulrike Edschmid. Am Anfang wollte sie eine Dissertation über Edschmid wagen. Die blieb ungeschrieben. Statt

dessen heiratete sie Kasimir Edschmids Sohn, wurde selbst eine Edschmid und Schriftstellerin. Notiert hat sie schließlich die Geschichte einer unruhevollen Liebe. Ein Stück Zeitgeschichte. Kasimir Edschmid versuchte nach 1933 in Deutschland zu leben, um zu arbeiten. Obwohl die Nazis die meisten seiner Bücher verbrannt hatten. Erna Pinner, Jüdin, emigrierte 1935 nach London. Er folgte ihr nicht. Machte Kompromisse, lavierte. Blieb beargwöhnt. Erst von den Nazis, dann von den Besatzungsmächten und den Kommunisten: »Sieben meiner Bücher sind in der Russischen Zone jetzt auf der Liste, darunter das Südamerika-Buch, das 1933 verbrannt, 1935 verboten, 1936 mit einem Gestapo-Verfahren beglückt und 1939 noch einmal verboten wurde. Es wiederholt sich alles, ohne daß man auch nur ahnt warum. Der geistig unabhängige Mensch paßt nicht in diese Zeit, die feste parteiliche Bindung verlangt.« ( 30. 12.1946)

Kasimir Edschmid war wie Johannes R. Becher einst einer der Köpfe der expressionistischen Bewegung. Wie dieser wandte er sich von ihr ab. Expressionismus ist Abbruch von Tradition, Aufbruch zu Neuem, kraftvoller Zukunftsglaube. Irgendwann aber beginnt die Skepsis an der neuen Gottheit Kunst zu nagen. Zweifel, Verhaltenheit also, aber ist tödlich für die expressive, die ausschließliche Form. Edschmid und Becher, zwei feind-

liehe Brüder Becher schrieb 1920 an Edschmid über dessen expressionistischen Roman »Die achatnen Kugeln« (lieferbar beim Kranichsteiner Literaturverlag, Darmstadt): »Ihr ekelhafter Stil... aber man kann, ohne vor Empörung Sie tätlich anzugreifen, selbst in Insulten nicht mehr mit ihnen verhandeln. Schluß.«

Briefe fixieren den Augenblick. Sie sind an ein vertrautes Gegenüber gerichtet, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Darum mitunter diese heilsame Drastik des Urteils, die Offenheit des Meinens. Briefe sind Alltagsliteratur ohne die Maske des artistischen Rollenspiels. Sie setzen eine aussterbende Kultur des Miteinander voraus. Vor allem artikulieren Briefe die Befindlichkeit des Schreibenden, sind S elb stauskünfte.

Edschmids Selbstauskünften nach 1945 begegnet Erna Pinner gelegentlich mit ausweichendem Schweigen, »Aber wir wollen nicht weiter darüber reden«, formuliert sie ihr Unbehagen mehrmals. Wunden, die noch schmerzen,

Und doch ist es Erna Pinner, die immer wieder auf Kasimir Edschmid zutritt, sich um ihn bemüht. Er, der 1949 eine andere geheiratet hatte, aber bleibt gefangen in Rechtfertigungen, die sie gar nicht hören will. Die Bruchlinien verlaufen unter der Oberfläche. Verschiedene Erfahrungswelten.

Das sind, sagt Ulrike Edschmid, schon merkwürdige Parallelen zu heute. Die

Perspektive von innen und die von außen, die Mißverständnisse, der Streit im PEN, ; dessen/r Generalsekretär! Edsehmidji seit 1951 war, die Teilung des PEN.

Edschmid als Galionsfigur des bundesdeutschen Nachkriegsliteraturbetriebes blieb Erna Pinner fremd. Sie lebte bis zu ihrem Tod 1987 als eine auf ihre Unabhängigkeit bedachte Autorin und IIlustratprin populärer naturwissenschaftlicher Bücher in London.

Und 20 Jahre lang immer wieder Verabredungen in der Villa Irene im italienischen Ronchi. Immer wieder sagt Edschmid kurz vorher ab. Sie haben sich nicht mehr getroffen.

Nur die Distanz der Briefe erlaubte Edschmid jenes Maß an Nähe, das ihm unmittelbar unmöglich geworden schien. Uneingestandene Schuld und übergroße Sensibilität. Wie Martin Heidegger es nicht vermocht hatte, die selbstverschuldete Fremdheit zu Hannah Arendt zu überwinden, obwohl sie ihn immer wieder dazu ermutigte. Am 31. August 1966 stirbt Kasimir Edschmid.

Was bleibt? Eine Liebe, die als schmerzhaft unbefriedigte Arbeitsbeziehung endete, aber die Erinnerung ihres innigen Anfangs bewahrte. Und Edschmids Expressionismus, den er so verzweifelt wenig mehr schätzen mochte.

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