Tabus und Abschottung

  • Jakob Knab
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein kraftvoller Paukenschlag schreckte am 27. Januar 1999, dem Gedenktag der Befreiung der letzten Überlebenden von Auschwitz, die Ungeister der Traditionspflege auf: Der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann (SPD), tat kund, die nach Nazi-Generälen benannten Kasernen würden umbenannt: »Das ändern wir jetzt. Das schwör' ich Ihnen. In zwei Jahren finden Sie keine mehr.« Im Frühjahr 1999 forderte Minister Scharping Truppe und Stäbe auf, von sich aus Vorschläge für die Auswechslung historisch belasteter Kasernennamen zu unterbreiten. Das Ergebnis war trostlos: Kein einziger Vorschlag ging auf der Hardthöhe ein; denn offenkundig misstrauten die Soldaten dieser von oben verordneten Basisdemokratie. Doch im »Wegweiser für die Traditionspflege im Heer« (1999) wurde eine Trennlinie zur Wehrmacht gezogen: »Die Wehrmacht hat sich zum reinen Ausführungsorgan für das nationalsozialistische Regime entwickelt.« Als sich die Grünen von früheren pazifistischen Positionen verabschiedeten, entwickelte ihr Wehrexperte Winfried Nachtwei neue Perspektiven für die Traditionspflege: »Verfehlt und kontraproduktiv wären Korrekturen nach Art der political correctness, von Bilderstürmerei und Geschichtssäuberung.« Minister Rudolf Scharping (SPD) wollte in der Traditionspflege Zeichen setzen. So kürte er Feldwebel Anton Schmid (1900-1942) zum neuen Kasernenpatron. Schmid hatte in Litauen verfolgte Juden gerettet; deshalb wird er als ein »Gerechter unter den Völkern« geehrt. Am 8. Mai 2000 wurde die »Rüdel-Kaserne« in Rendsburg in »Feldwebel-Schmid-Kaserne« umbenannt. Die New York Times zitierte Scharping wie folgt: »Mr. Scharping said it was only recently discovered what role General Rüdel played in the courts, particularly in the sentencing to death of thousands of people after the failed attempt to assassinate Hitler in July 1944. At that point, I made the decision myself that a change of name was necessary, he said.« Doch die Begründung für die Umbenennung ist nachweislich falsch. Richtig ist vielmehr: Im Sommer 1941 nahm Rüdel an einer einzigen Sitzung des Volksgerichtshofes teil. Durch seine Intervention kam es zu einem Freispruch. Warum also wurde ausgerechnet die Rüdel-Kaserne umbenannt? Im Frühjahr 2000 war offenbar keiner der Betonköpfe auf der Hardthöhe auf die Idee gekommen, eine der folgenden Kasernen nach Feldwebel Schmid neu zu benennen. Hier einige kernige Sprüche jener traditionswürdigen Vorbilder: General Rudolf Konrad, Kasernenpatron in Bad Reichenhall: »Dem Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe.« Nach General Hans Hüttner ist die Kaserne in Hof (Saale) benannt: »Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!« Feldmarschall Erwin Rommel ist traditionswürdiger Namensgeber in Augustdorf, Osterode (Harz) und Dornstadt: »Vom Führer geht eine magnetische, vielleicht hypnotische Kraft aus, die ihren tiefsten Ursprung in dem Glauben hat, er sei von Gott oder der Vorsehung berufen, das deutsche Volk zur Sonne empor zu führen.« Feldmarschall August von Mackensen ist weiterhin soldatisches Vorbild in Hildesheim: »Es ist für mich eine erhebende Freude, noch zu erleben, wie die derzeitige Jugend auch im 6. Kriegsjahr begeistert zu den Fahnen eilt, um mit Leib und Leben die bedrohte Heimat zu schützen.« Oberst Werner Mölders (1913- 1941) ist ein Traditionsname, der in der Regierungszeit des rot-grünen Projektes getilgt wurde. Mölders war als Kriegsfreiwilliger bei der »Legion Condor« an der Valencia-Ebro-Front im Einsatz. Dieser Frontabschnitt galt als »Verdun des spanischen Bürgerkrieges«. Bei der Zerstörung des Dorfes Corbera dEbre gaben Mölders und seine Jagdflieger den Bombern Geleitschutz. Als Hitler die Sowjetunion angriff, jubelte Mölders: »Ein gewaltiger Krieg ist im Gange, und ich bin stolz darauf, mit meinem Geschwader im Schwerpunkt der Kampfhandlungen eingesetzt zu sein.« Über Adolf Hitler urteilte Mölders: »Der Führer hält sich, diesen bestimmten Eindruck habe ich, in der Tat für einen Beauftragten der Vorsehung, einen Abgesandten des Schicksals. Er und nur er ist in der Lage, so glaubt er, das deutsche Volk und Heer zum Siege, zur Macht, zur Freiheit zu führen. Er ist da von großer Willensstärke, vielleicht auch ohne Skrupel. Was nicht für ihn ist, und zwar bedingungslos und ohne Widerspruch, ist gegen ihn.« Mölders starb am 22.11.1941 beim Absturz der Kuriermaschine, die ihn von Sewastopol nach Berlin zum Staatsbegräbnis von General Udet bringen sollte. Göring ließ diesen Tagesbefehl am 24.11.1941 verkünden: »So wird Oberst Mölders in der Luftwaffe wie in der Geschichte des deutschen Volkes bis in alle Ewigkeit fortleben. Sein Andenken soll uns stolze Tradition und stets Vorbild höchster militärischer Tugend sein.« Doch am 28. Januar 2005 ließ die Hardthöhe verlauten: »Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, hat entschieden, die Werner-Mölders-Kaserne in Visselhövede und das in Neuburg an der Donau stationierte Jagdgeschwader 74 Mölders umzubenennen.« Damit wurde der Vorstoß von Gerhard Zwerenz von 1998, die »Legion Condor« aus der Traditionspflege zu tilgen, nach immerhin sieben Jahren umgesetzt. Wütende Proteste folgten. In einer Ehrenanzeige verneigten sich pensionierte Offiziere der Bundeswehr vor Mölders: »Er bewies Charakter und Anstand in schwerer Zeit.« Eine einzigartige Ballung von skandalösen Straßennamen fand sich bis vor kurzem in Fürstenfeldbruck. Reichsmarschall Göring hätte seine teuflische Freude an dieser Kriegsnostalgie gehabt; denn über 30 Ritterkreuzträger, Flieger-Asse und Nazi-Generäle wurden dort öffentlich geehrt. In diesem Jahr wurden einige Straßennamen getilgt. Entfernt wurde unter anderem der Name Mölders. Verschwunden ist auch der Name Ritter von Mann. Dieser war in den Jahren 1942/43 Offiziersrichter am Reichskriegsgericht und unterzeichnete das Todesurteil gegen Krystina Wituska. Andere Namen werden derzeit noch geprüft. Jeder Krieg produziert Helden. Der Heldenkult vereinfacht die komplexe Realität von Vernichtungskrieg und Besatzungsherrschaft auf eine Lebensgeschichte, die von Kampf und Sieg geprägt war. Mit der Rede von den »zeitlosen soldatischen Tugenden« werden die schuldhaften Verstrickungen der Wehrmacht enthistorisiert und entnazifiziert. Das Credo des deutschen Militarismus lautet: »Nicht wofür wir kämpfen ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen.« (Ernst Jünger) Traditionspflege ist Erinnerungskultur nach innen und Geschichtspolitik nach außen. Innerhalb der Bundeswehr ist die Traditionspflege leider vielfach kein Anlass für historische Aufklärung, sondern ein Tabu. Die biographischen Skizzen, Gutachten und Fachstudien des MGFA Potsdam zu allen Traditionsnamen der Bundeswehr bleiben unter Verschluss. Der notwendige öffentliche Diskurs wird durch Abschottung unterdrückt. Skandalnamen wurden stets nur auf Druck von Initiativen aus der Zivilgesellschaft getilgt. So bleibt die bange Frage, ob die Traditionspflege der Bundeswehr nach 50 Jahren endlich in der Demokratie ankommt. Jakob Knab, geb. 1951, studierte in München und in Edinburgh (Schottland), seit 1978 ist er im höheren Schuldienst tätig. Seit knapp 20 Jahren erkundet und erhellt er die Problemfelder der Traditionspflege. Er ist Gründer und Sprecher der »Initiative gegen falsche Glorie« in Kauf-beuren im Allgäu. Er veröffentlichte Beiträge zur Geschichtspolitik und Erinnerungskultur; so zählt er zu den Autoren des Sammelbandes »Wider die Kriegsmaschine«, der vor kurzem im Klartext-Verlag Essen erschienen ist.
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