Wenn die Medizin schlimmer als die Krankheit ist
IMK-Konjunkturprognose: Stagnation in Deutschland wegen der Eurokrise/Arbeitslosigkeit steigt nächstes Jahr wieder
Das deutsche Wirtschaftswunder in der Eurokrise ist vorbei. Die Wirtschaft des Land befindet sich in diesem und im nächsten Jahr in einer zähen Stagnation, teilte das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in seiner Prognose gestern mit. Demnach steigt das Bruttoinlandsprodukt 2012 nur noch um 0,6 und 2013 um 0,4 Prozent. Letztes Jahr betrug das Wachstum noch drei Prozent.
Damit wirkt sich die Eurokrise auf die deutsche Wirtschaft aus, die lange Zeit von der Rezession in den übrigen Euroländer verschont geblieben war. Besonders der Export ist davon betroffen. Im Vergleich zum Vorjahr wird der Zuwachs bei den Ausfuhren dieses Jahr weniger als halb so stark sein und nur noch 3,6 Prozent betragen. Neben einer Flaute in der Weltwirtschaft macht das IMK die Krise in der Eurozone verantwortlich für die schwache Konjunktur in Deutschland. Im laufenden Jahr wird die Wirtschaftsleistung in der Eurozone im Durchschnitt um 0,5 und 2013 um 0,7 Prozent zurückgehen.
Als einen Grund für die Depression in der Eurozone sieht das IMK die überzogene Austeritätspolitik an, die Staaten wie Griechenland auferlegt wird. »Die Medizin, die wir den Ländern zu schlucken geben, ist schlimmer als die Krankheit, an der sie leiden«, sagte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Gustav Horn. Er empfiehlt, die Sparpakete in den Krisenländern zeitlich zu strecken, um so die Konjunktur im Euroraum zu entlasten. »Realistische Konsolidierung, die die Wirtschaft nicht abwürgt, nützt uns allen mehr als plakative Strenge, die ihr Ziel nicht erreicht«, so Horn.
Die Folgen der bitteren Medizin bekommt jetzt auch Deutschland zu spüren. Dies zeigt sich vor allem im Rückgang der Investitionen dieses Jahr um durchschnittlich 3,1 Prozent, der ein Vorbote für einen Abschwung ist. Das IMK rechnet mit einer Kehrtwende auf dem Arbeitsmarkt. Sinkt die Arbeitslosigkeit im laufenden Jahr noch um 80 000 Personen auf 2,9 Millionen, geht dieser Fortschritt 2013 wieder verloren, und die Arbeitslosigkeit steigt im Jahresmittel auf eine Quote von 7,0 Prozent.
Stabilisiert wird die deutsche Wirtschaft von dem relativ kräftigen privaten Konsum. Höhere Lohnabschlüsse und eine etwas niedrigere Inflation lassen das IMK für 2012 und 2013 eine Steigerung des realen verfügbaren Einkommens um rund ein Prozent erwarten. Dies kurbelt die Binnennachfrage an. Damit das auch so bleibt, schlägt das Institut eine expansive Finanzpolitik vor. Die Wissenschaftler sehen Spielraum für Steuererhöhungen auf hohe Einkommen, Kapitaleinkünfte und große Vermögen. Die so geschaffenen Mehreinnahmen könnten für Konjunkturmaßnahmen, etwa die Weiterführung der Kurzarbeiterreglung, ausgegeben werden.
Für das gewerkschaftsnahe Institut gibt es einen Lichtblick in der Eurokrise: Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen, habe die Krise im Währungsraum bereits entspannt. Das Zinsniveau der am stärksten betroffenen Länder sei in kurzer Zeit um gut einen Prozentpunkt gesunken. »Die EZB hat endlich ihre Rolle als wichtigster Stabilitätsanker der Währungsunion übernommen«, so Horn.
Wird den Krisenländern etwa mit einer Streckung der Sparprogramme geholfen, besteht laut Horn die Chance, dass Europa bald wieder gut da steht. Positiv stimmt ihn, dass immer mehr Politiker Griechenland mehr Zeit geben wollen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.