Zielgerichtete Iran-Sanktionen?
Eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag erbrachte bemerkenswerte Erkenntnisse
Noch nie zuvor in einer UN-Vollversammlung stand das iranische Atomprogramm so im Brennpunkt der Berichterstattung wie dieses Mal. Angeheizt von der israelischen Forderung nach »roten Linien«, die Teheran bei der Urananreicherung nicht überschreiten dürfe, anderenfalls habe es mit einer Bombardierung seiner Nuklearanlagen zu rechnen, rückte ein weiterer Krieg im Mittleren Osten in bedrückende Nähe.
Die deutsche Haltung in dieser Frage muss man wohl als ambivalent bezeichnen. Einerseits geht die deutsche Außenpolitik den Weg der verbalen Aufrüstung, wie ihn in Europa vor allem London beschreitet, erkennbar nicht mit. Zwar erklärte Außenminister Guido Westerwelle in New York pflichtschuldig: »Wir teilen die große Sorge Israels angesichts der nicht ausgeräumten Zweifel an den friedlichen Absichten des iranischen Atomprogramms.« Auf Kriegsrhetorik verzichtete er aber und sprach zum offensichtlichen Missfallen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sogar davon, dass er »im Atomstreit mit Iran weiterhin Chancen für eine diplomatische Lösung« sehe. »Wir wollen eine diplomatische Lösung. Sie ist noch möglich«, sagte Westerwelle.
Andererseits ist nicht zu sehen, was Deutschland für eine Lösung dieser Art in jüngster Zeit getan hätte oder derzeit unternimmt. Deutschland ist Teil der Sanktionsmaschinerie des Westens, die darauf angelegt ist, die islamische Republik allmählich, aber zielgerichtet zu erdrosseln, Auch wenn das Netanjahu zu langsam geht und auch Teheran aus taktischen Gründen Wirkungen bestreitet - die Sanktionen schmerzen. Aber wen in erster Linie? Das »Mullah-Regime«, wie von EU und USA behauptet, oder doch die einfache Bevölkerung? Dazu richtete Niema Movassat zusammen mit Jan van Aken, Sevim Dagdelen und anderen Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Die Antworten, zu finden in der Bundestags-Drucksache 17/10416, zeigen trotz aller Unzulänglichkeit, dass die Bundesregierung nur sehr bedingt erreicht, was sie mit Boykottmaßnahmen zu bewirken vorgibt - auch wenn das in dem 18-seitigen Papier nicht ausdrücklich eingeräumt wird.
So heißt es auf die Frage von Movassat und Genossen, ob die jüngsten Sanktionsrunden schwere Auswirkungen auf Irans Bevölkerung (Preisauftrieb insbesondere bei Nahrungsmitteln) hätten, die Bundesregierung halte an ihrer politischen Zielsetzung fest, solche Auswirkungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Zwar wurde danach nicht gefragt, aber die Antwort ist dennoch aufschlussreich.
Auf eine vorangegangene Frage teilte das Auswärtige Amt beispielsweise mit, dass nach seinen Erkenntnissen der Preis für Reis um 49 und der für Brot um 40 Prozent seit April 2011 gestiegen sei. Auch andere wiedergegebene Wirtschaftsdaten zeigen Krisenanzeichen. Gestiegene Arbeitslosigkeit, gesunkenes Bruttoinlandsprodukt und der Rückgang lebenswichtiger Importe, beispielsweise von Medizinprodukten, sind Indizien dafür, dass sich die Sanktionen spürbar auf den humanitären Bereich auswirken.
Dass sich derlei Notstände auch in Iran nicht zuerst bei der Oberschicht oder »regimenahen« Personengruppen durchschlagen, sondern bei den Ärmsten, liegt nahe. Es mutet daher wie Zynismus an, wenn Staatssekretärin Emily Haber, die für die Antwort des Auswärtigen Amtes verantwortlich zeichnet, eine Frage danach mit dem Satz abtut: »Die Bundesregierung hält an ihrer Zielsetzung unverändert fest, zielgerichtete und angemessene Sanktionen zu verhängen und die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken.« Wie definiert das Amt »Mindestmaß«?
Mit den Sanktionen wird aber nicht nur das Ziel verfehlt, die »Regimestützen« zu treffen. Zwar besteht die Bundesregierung darauf, mit ihren Boykottmaßnahmen die wirtschaftlichen Interesse »der Revolutionsgarden und regimenaher Institutionen (…) deutlich geschädigt« zu haben. An anderer Stelle relativiert sie dies aber. Da heißt es: »Gleichzeitig kann nicht ausgeschlossen werden, dass Revolutionsgarden und regimenahe Institutionen insbesondere auf Grund ihres bevorzugten Zugangs zu Devisen und ihrer Kontrolle wichtiger Flugplätze und Häfen mit sanktionsbewehrten Gütern wirtschaftliche Gewinne erzielen.«
Die Adressaten der Antwort in der Linksfraktion stellen fest: Berlin besteht darauf, weiter seinen »Ansatz von Verhandlungen und ›zielgerichteten Sanktionen‹ zu verfolgen«, erklärt jedoch an anderer Stelle selbst, dass die Sanktionen gar nicht zielgerichtet wirken können. Weiter heißt es im Kommentar der Linken: »Die Bundesregierung kann außerdem nicht ausschließen, dass die Sanktionen gegen Iran langfristig ähnlich fatale Folgen für die iranische Zivilbevölkerung nach sich ziehen, wie seinerzeit in Irak, als bis zu 500 000 irakische Kinder an den Folgen der Sanktionen starben.«
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