Historisches Spektakel
Das 4:4 der deutschen Nationalmannschaft gegen Schweden lässt einen verstörten Bundestrainer zurück
Es wird den Bundestrainer wohl kaum trösten, dass auch alle anderen an dem 90-minütigen Spektakel Beteiligten nicht so recht beschreiben konnten, was gerade geschehen war. »Ich habe so etwas noch nicht erlebt«, erklärte Schwedens Trainer Erik Hamrén. Moral und Ehre habe er von seinen Spielern in der Halbzeitpause eingefordert. Doch wie und warum sie nach Toren von Zlatan Ibrahimovic (62.), Mikael Lustig (64.), Johan Elmander (76.) und Rasmus Elm (90. +3.) dem eine Stunde lang übermächtigen Gegner noch ein Remis abgetrotzt haben, ließ auch ihn perplex zurück. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, staunte Hamrén und ordnete das Spiel sogleich als »historisch« ein.
In der Tat, einen Vier-Tore-Vorsprung hat in der 104-jährigen Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes noch keine Nationalmannschaft zuvor verspielt. Und wer weiß, was die am Ende völlig verunsicherte DFB-Elf hätte noch hinnehmen müssen, wenn das Spiel noch ein paar Minuten länger gelaufen wäre. So aber rettete sie einen Punkt gegen den wohl ärgsten Widersacher in der Gruppe C und bleibt nach 13 Siegen in Qualifikationsspielen zumindest weiterhin ohne Niederlage.
Seine Kritiker wird Joachim Löw nach dem Unentschieden natürlich nicht los. Fehlende Mentalität und Reife werden ebenso ein Thema bleiben, wie die Frage nach der richtigen Balance zwischen Angriff und Verteidigung, die Debatten um Führungsspieler und die Hierarchie im Team werden weitergeführt. Allein die starke Offensive bleibt dem Bundestrainer als Komfortzone. So verwies er flugs noch mal auf das 6:1 in Irland am vergangenen Freitag. Und so landete er schnell beim Superlativ der Superlative: »Die ersten 60 Minuten gegen Schweden waren überragend.« Die schwindelerregenden Passkombinationen mit denen die DFB-Elf die schwedische Defensive zerlegte, lassen tatsächlich nicht viel Platz nach oben. Die ersten beiden Tore durch Miroslav Klose (8./15.) wurden traumhaft herausgespielt. Besonders Marco Reus und Mesut Özil glänzten im Zusammenspiel. Die Treffer von Per Mertesacker (39.) und Özil (56.) fielen ebenso verdient - die 4:0-Führung war auch in dieser Höhe angemessen und Beleg der Dominanz.
Die Gründe, warum nach dem Anschlusstreffer Souveränität und Sicherheit verloren gingen, vermutete Löw im psychischen Bereich: beflügelte Schweden, nervöse DFB-Kicker. Kritik an den Verteidigern vermied er diesmal. Wohl wissend, dass die Abwehr seit längerem die Achillesferse des deutschen Spiels ist. Die Schweden hatten nur in der Schlussphase Druck aufgebaut, die ersten drei Tore waren nach einfachen langen Bällen und schweren Fehlern der Innenverteidiger Holger Badstuber und Mertesacker gefallen.
Rückblickend ist der November 2011 Löws bisheriger Höhepunkt. 2012 war mit dem EM-Aus gegen Italien und insgesamt vier Niederlagen sein schlechtestes Jahr als Bundestrainer. »Wir müssen aus dem Spiel lernen«, sagte Löw noch in Berlin. Die erste Chance dafür bietet sich schon am 14. November - gegen die Niederlande.
Deutschland - Schweden 4:4 (3:0)
Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Kroos - Müller (67. Götze), Özil, Reus (88. Podolski) - Klose.
Schweden: Isaksson - Lustig, Granqvist, Olsson, Safari - Wernbloom (46. Källström), Elm - Larsson (78. Sana), Ibrahimovic, Holmén (46. Kacaniklic) - Elmander.
Tore: 1:0, 2:0 Klose (8./15.), 3:0 Mertesacker (39.), 4:0 Özil (56.), 4:1 Ibrahimovic (62.), 4:2 Lustig (64.), 4:3 Elmander (76.), 4:4 Elm (90.+3). Schiedsrichter: Proença (Portugal). Zuschauer: 72 369.
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