Groteske im Kanzleramt

Integrationsmedaille für Flüchtlingsaktivist Heinz Ratz

Gestern im Kanzleramt: Das Bundespolizeiorchester spielt auf, Frauen mit schicken Föhnfrisuren und Männer mit Schlips und Kragen nehmen ihre Plätze ein, andere stecken schnell ihre vorbereiteten Redemanuskripte ein. Dort, wo Angela Merkel ihren Amtssitz hat, gab es etwas zu feiern: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), hat zur Verleihung der Integrationsmedaillen geladen. Einer der Preisträger ist Heinz Ratz. Der Musiker, unrasiert und mit T-Shirt und Weste, bekommt die Medaille für sein Engagement für Flüchtlinge verliehen. Er hatte mit Schutzsuchenden zusammen die Band »The Refugees« gegründet. Ein »ungewöhnlicher Weg«, attestierte ihm Böhmer bei der Verleihung.

Für die Auszeichnung vorgeschlagen wurde Ratz von den Grünen im Bundestag. Dass Böhmers Wahl auch auf ihn gefallen ist, hat reichlich Verwunderung ausgelöst. Denn der Norddeutsche hat sich in jüngster Vergangenheit als scharfer Kritiker der schwarz-gelben Migrationspolitik hervorgetan. Und das nicht ohne Grund: Mit dem Fahrrad klapperte Ratz im vergangenen Jahr 80 Flüchtlingsheime ab, lernte dort die unmenschlichen Wohnverhältnisse kennen, sah, wie die Menschen von den Behörden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und in ihre Heimat abgeschoben werden. Doch hinter den Mauern dieser Lager schlummerten musikalische Talente, die nur wachgeküsst werden mussten. Das übernahm Ratz. Er trommelte die Musiker zusammen und ging mit ihnen auf Tournee.

Als Ratz die Medaille von Böhmer in Empfang nimmt, wirkt er etwas kühl. Es herrscht eine Distanz zwischen beiden, die noch in die hinteren Sitzreihen zu spüren ist. Böhmer ist sichtlich bemüht, die Haltung zu wahren und ihn wie die anderen Preisträger zu behandeln. Doch Ratz ist anders, weniger angespannt als die Redner vor ihm, unaufgeregter, lockerer - auch im Umgang mit der Bundesbeauftragten. Irgendwie ist der Flüchtlingsaktivist zwischen den Hugo-Boss-Anzügen und frisch geputzten Bugatti-Schuhen fehl am Platz.

Auch das, was Ratz den anwesenden Journalisten in die Blöcke diktiert, unterscheidet sich von dem, was die übrigen Preisträger zu sagen haben. Er sei von der Auszeichnung nicht nur »überrascht« gewesen, sondern tut sich mit der Medaille auch schwer, gesteht Ratz. Eine Auszeichnung von der Regierung, die für die verfehlte Asylpolitik dieses Landes Verantwortung trägt, das geht ihm nicht so einfach runter. Auch gestern kritisierte der Musiker die Lebensbedingungen der Schutzsuchenden. Wieder einmal. Doch Ratz verbindet mit der Medaille die Hoffnung, dass die »Refugees« mehr Aufmerksamkeit erhalten und so ihre Probleme besser wahrgenommen werden. Und wer weiß, vielleicht führt das auch zu einem Umdenken bei Menschen, die noch immer Vorurteile gegenüber Flüchtlingen pflegen.

Insgesamt wurden acht Personen ausgezeichnet, die sich durch ihr Engagement in besonderer Weise um die Integration verdient gemacht haben, wie es heißt. Für ihren Einsatz im Bereich Bildung, interreligiösem Dialog und Integration im Beruf wurden Sonja Brogiato, Nurdane Görgün, Asli Peker Gaubert und Johann Koops Medaillen umgehängt. Nevin Sahin und Mübeccel Kocer erhielten Preise für ihre Arbeit mit Frauen mit Migrationshintergrund. Philipp Kohl wurde die Auszeichnung für einen Film verliehen.

Als Heinz Ratz zum obligatorischen Foto mit Böhmer zwei Flüchtlinge nach vorne holt, einen Gambier und einen Afghanen, wird klar: Einen Preisträger wie ihn wird es so schnell wohl keine zweites Mal geben.

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