Ein Träumer wohl, aber kein Fantast

1990 war das mecklenburgische Schloss Ulrichshusen eine Brandruine, heute ist es ein Mekka für Musikfreunde und Touristen

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.

Auch, wenn er über eine Wurzel gestolpert und kopfüber in den schlammigen Teich gestürzt wäre, hätte Helmuth von Maltzahn das vermutlich als gutes Omen gedeutet. Glücklicherweise war es jedoch nur ein Eulenschiss, der auf seinem Jackett landete, als er 1990 erstmals in den traurigen Resten der Wasserburg stand, die seine Vorfahren 1562 in dem mecklenburgischen Dörfchen Ulrichshusen erbaut hatten. Von Maltzahn nahm's locker und vor allem als ein himmlisches Zeichen. Er ist nun mal eine geborene Frohnatur und ein unerschütterlicher Optimist.

Besäße er dieses Naturell nicht, wer weiß, ob Ulrichshusen zum von Musikliebhabern wohl meistbesuchten »Kaff« Norddeutschlands geworden wäre. Rund 50 000 kommen alljährlich in die »Hauptstadt« der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, dem seit 1991 stattfindenden Musikfestival des Landes. Von solch einer beeindruckenden Anzahl »Pilgerreisender« wagten vor 22 Jahren weder der Visionär noch seine Frau Alla zu träumen. Wohl aber davon, das Schloss ihrer Vorfahren zu kaufen und in eine besondere Adresse für Kunst- und Kulturliebhaber zu verwandeln.

Es dauerte jedoch noch drei Jahre, ehe die Familie das, was von dem Schloss nach einem nie aufgeklärten Brand im Jahre 1987 übrig geblieben war, kaufen konnte. Nicht nur, dass anfangs die knapp 50 Dorfbewohner den Adligen aus dem Westen mit erheblichem Misstrauen begegneten. Viel schlimmer war, dass auch Scientology das Schloss haben wollte. Letztlich aber hatte die Familie die besseren Karten und bekam 1993 den Zuschlag.

Wie viele Millionen an Eigen- und Fördermitteln seitdem in das Objekt flossen, verrät der frühere Manager des Kosmetikkonzerns Lancaster nicht. Von seiner ersten Investition aber erzählt er gern - einer 24 Quadratmeter großen Holzhütte aus dem Baumarkt, die der neue Ruinenbesitzer unter der alten Eiche auf dem Schlosshügel aufstellte. Sie wurde für die Familie für die nächsten Jahre eine Mischung aus Zweitwohnsitz und Kommandozentrale für den Wiederaufbau des Schlosses. Schnell merkten auch die letzten Zweifler im Dorf, dass der »von und zu« ihnen nichts wegnehmen will, und im Übrigen ein ganz normaler Typ ist, der nicht in Schlips und Kragen, sondern im Blaumann auftritt und zupacken kann. Bald schon steckte er die Einheimischen mit seinen Vorstellungen von der Zukunft Ulrichshusens an. »Keiner baut eine Pyramide allein«, sagt der heute 62-Jährige rückblickend, »es war einfach fantastisch, wie alle hier im Dorf mit angepackt haben. Wir wuchsen über die Jahre gewissermaßen zu einer großen Familie zusammen.« Arbeitslosigkeit ist schon längst ein Fremdwort, 1990 lag sie noch bei 50 Prozent.

Schon ein Jahr nach dem Erwerb des Anwesens war in Ulrichshusen großer Bahnhof: Aus der alten Feldsteinscheune des Guts war ein Konzertsaal für bis zu 1100 Personen entstanden. Das Eröffnungskonzert dirigierte eine Weltlegende, Yehudi Menuhin, und die Musiker waren von ebensolcher Klasse - sie gehörten dem London Symphony Orchestra an. Bis auf den letzten Platz war die Scheune gefüllt, für Helmuth von Maltzahn erfüllte sich einer seiner großen Träume: Ulrichshusen zum Festspielort zu machen. Als er die Idee erstmals dem Gründer und Leiter der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Matthias von Hülsen, vortrug, war der Ort noch eine einzige Baustelle. Doch der agile Visionär malte dem Festspielleiter Bilder von einem lebendigen Schlossensemble vor, die von Hülsen bald schon überzeugten. Noch heute schwärmt Helmuth von Maltzahn von dem ersten Konzert vor 18 Jahren, und hat es in Erinnerung, als sei es erst gestern gewesen: »Die große Scheune war überfüllt. Es war ein wunderschöner Tag. Nach dem Konzert gab es ein Feuerwerk direkt aus der Schlossruine heraus. Das war das i-Tüpfelchen und wie ein Symbol. Hier hatte es gebrannt und nun beginnt eine neue Zeit. Und schließlich der krönende Abschluss: In den 19-Uhr-Nachrichten gab es einen Bericht von dem Konzert im kleinen Dorf Ulrichshusen, der sogar noch vor den damals aktuellen Michael-Jackson-Neuigkeiten gesendet wurde. Da wussten wir, die Arbeit hat sich gelohnt, das ist der Durchbruch.« Viele Weltstars der klassischen Musik haben seitdem in dem winzigen Nest zwischen Waren und Malchin Konzerte gegeben - Anne-Sophie Mutter, Julia Fischer, Daniel Hope, Mitglieder der Wiener Philharmoniker, ...

2001 sah auch das Schloss wieder so aus, als wäre ihm nie ein Leid geschehen. Heute beherbergt es ein Hotel mit 19 Doppelzimmern, einen großen Festsaal, zwei Kaminzimmer sowie das gern und häufig genutzte Standesamt. Im früheren Pferdestall entstand ein Restaurant. Weitere Gästezimmer gibt es in der einstigen Stellmacherei und im Haus am See. Zu Beginn der diesjährigen Festspielsaison wurde eine Pergola als Freiluftgaststätte eröffnet, die auf Feldsteinmauerresten eines alten Stalles gegenüber der Konzertscheune entstand. Für Konzerte und Ausstellungen wird auch schon bald die Orangerie genutzt, die einst ein Bullenstall war. Auch im nur zwei Kilometer entfernten früheren Gutspark im Örtchen Tressow, der seit 2009 umfassend saniert wird, haben die Bauarbeiter und Handwerker ein kleines Wunder vollbracht. Die alte Wassermühle verwandelten sie in ein Tagungs- und Bankettgebäude mit 18 Doppelzimmern, weitere Gebäude des historischen Barockensembles wurden zu Ferienwohnungen umgebaut, auch in den beiden Gutshäusern können sich schon bald Urlauber wohlfühlen. Ein Hingucker ist der sanierte achteckige Fohlenstall, in dem heute Kammerkonzerte erklingen und der Bund fürs Leben geschlossen wird. Im Gutspark sollen schon im nächsten Jahr Open Air Konzerte die Gäste begeistern.

Längst zweifelt niemand mehr an den Visionen, von denen der Hausherr seinen Gästen immer wieder begeistert vorschwärmt. Weiß doch jeder, dass all seine »Luftschlösser« bislang Realität wurden. 2013, wenn die letzten Gebäude im Gutspark saniert sind, soll sich das ganze Ensemble in der Adventszeit in ein komplettes Weihnachtsdorf verwandeln. In seinem Kopf ist schon alles fertig, nur für den Schnee, der dem Ganzen das romantische Mützchen aufsetzen würde, will Helmuth von Maltzahn (merkwürdigerweise) keine Garantie übernehmen. »Ich bin zwar ein Träumer und habe viel Fantasie, ein Fantast aber bin ich nicht«, sagt er lachend.

Ulrichshusen ist nur eines von mehr als 2000 Schlössern und Herrenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern, von denen mehr als die Hälfte unter Denkmalschutz stehen. Rund 300 sind bereits saniert und werden überwiegend für kulturelle und touristische Zwecke genutzt. Dass sie wieder in schönstem Glanz erstrahlen, dazu trugen neben Bund und Land vor allem die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt sowie Kommunen sowie Vereine bei. Und natürlich solche Träumer wie die von Maltzahns.

In keiner europäischen Region gibt es so eine Vielzahl von Schlössern und Herrenhäusern auf so engem Raum. Um sie kennenzulernen, kann man sich einfach treiben lassen. Es ist aber auch möglich, sich gezielt auf eine von zahlreichen touristischen Routen auf Entdeckungstour zu begeben. Und am Ende der Reise in einer der sanierten Perlen die Nacht verbringen und sich wie ein König verwöhnen lassen.

  • Schloss Ulrichshusen, Seestr. 14, 17194 Ulrichshusen, Tel.: (039953) 790-0, Fax: -99, E-Mail: info@ulrichshusen.de, www.ulrichshusen.de
  • An allen Adventswochenenden lädt die Festspielscheune Ulrichshusen zum Weihnachtsmarkt und zu Konzerten ein
  • Infos zu Schlössern und Herrenhäusern: www.auf-nach-mv.de/schloesser, www.gutshaeuser.de, www.schloesser-gaerten-mv.de, www.mein-urlaub-im-schloss.de, www.castle-mv.de
  • Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: www.festspiele-mv.de
  • Noch bis zum 31. Oktober laden 27 Schlösser und Herrenhäuser mit zahlreichen Veranstaltungen zum Schlösserherbst ein. Infos: www.auf-nach-mv.de/schloesserherbst
  • Literatur: »Schlösser und Gärten«, Hinstorff Verlag Rostock, ISBN 978-3-356-01001-5, 19,90 € und »Schlösser, Gutshäuser und Parks in Mecklenburg-Vorpommern«, 3 Bände im Schuber, ISBN 978-3-356-00950-7, 48 €
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