Das verdächtige Genie
Jan Knopf besichtigt in einer neuen Biografie Bertolt Brecht und sein Werk
Manche glauben ja, er sei mausetot und nicht mehr zu gebrauchen, einfach passé, einer von gestern halt. Begraben, verdrängt, vergessen all die Aufregungen von einst, als Brecht noch ein provokanter Störenfried war, im Westen von einem Außenminister mit Horst Wessel verglichen, gleich zwei Mal, 1953 und 1961, mit Boykotten bestraft, dann in zähen, untauglichen Rettungsprozeduren in den guten Dichter und den verfluchten Kommunisten zerlegt, im Osten zu Lebzeiten mit Misstrauen beäugt, später laut und ausdauernd gefeiert, indes der machtlose Leiter des Aufbau-Verlages ein ums andere Mal im hohen Haus vorstellig wurde, um die Veröffentlichung des »Me-ti« und der Gedichtbände mit den »Buckower Elegien« anzumahnen (was erst nach vielen Jahren gelang, weil man dem unmündigen DDR-Volk schließlich nicht alle Brecht-Zeilen zumuten mochte).
Heute ist von der Heiligsprechung, der erdrückenden Umarmung so wenig geblieben wie von der wütenden Verdammung. Brecht hat, wie's scheint, auf dem Weg der Deutschen in die Einheit seine gefährlichen Krallen verloren. Er regt keinen mehr wirklich auf, und wer auf Marcel Reich-Ranicki hört (und ihm unbesehen folgt), lässt ohnehin gerade noch den Lyriker gelten.
Doch nun kommt Jan Knopf, einer, der sich auskennt und nicht bloß daherredet, beschäftigt mit dem Dichter seit Jahrzehnten, Leiter der Brecht-Arbeitsstelle in Karlsruhe, Mitherausgeber der kommentierten Werkausgabe und eines mehrbändigen Brecht-Handbuchs. Er hat schon vor zwölf Jahren eine Biografie vorgelegt, aber die gelbe, unauffällige Reclam-Broschur hatte keine Chance gegen den aufdringlichen Wälzer des John Fuegi, der kurz zuvor auf über tausend Seiten eine fanatische Brecht-Demontage betrieben hatte, die das Feuilleton mit Wonne weitersagte. So nackt und mickrig wie in diesem Buch war der Augsburger noch nie erschienen, so ungepflegt und egoistisch, wankelmütig und gerissen, rigoros und skrupellos. Fuegi beschrieb ein Scheusal und Erotomanen, der die Frauen nicht nur sexuell ausbeutete, sondern sie obendrein noch bestahl. Er konnte mit einem Publikum rechnen, dem dieser Brecht noch nie geheuer war.
Als spindeldürres, schlecht gekleidetes Männlein geistert das junge Genie auch bei Knopf durch die Anfangskapitel seiner neuen Biografie. Die Haare fettig, zwischen den Fingern stets die grauenvolle Zigarre, in den Mundwinkeln braune Speichelreste. Die Schauspielerin Marianne Zoff, die bald schon seine Geliebte wurde und Mutter seiner Tochter Hanne, hat ihn erst einmal waschen müssen, Ohren, Hals und dann immer weiter abwärts. Das alles ist überliefert, und Knopf teilt es mit. Freilich: Er will nicht denunzieren und hat auch nicht vor, alles Unvorteilhafte noch einmal herzubeten. Sein Brecht ist kein Monstrum (wie bei Fuegi) und auch niemand, der sich inzwischen erledigt hat. Dafür, sagt Knopf, hat er viel zu viel für das Theater und die Theatertheorie geleistet, dafür war er auch viel zu sehr Avantgardist, einer, der die Grenzen der Kunst niederriss und ganz neue Wege, neue ästhetische Techniken erprobte, um gesellschaftliche Verhältnisse »auf vergnügliche und zugleich erkenntnisfördernde Weise zur Anschauung« zu bringen.
Knopf beschreibt Brechts »Lebenskunst in finsteren Zeiten«. Er beginnt natürlich dort, wo alles angefangen hat: im bürgerlichen Elternhaus und mit den frühen literarischen Versuchen, der Suche nach Geselligkeit, der Lektüre und dem Hang zu kollektiver Produktivität, den Frauen seiner jungen Jahre, den ersten Stücken. Brecht war Mitte dreißig, als Hitler kam und ihn ins Exil zwang, Verfasser der »Dreigroschenoper«, Marx-Leser (aber kein Kommunist, wie Knopf geradezu emphatisch betont), für Marx-Heroisierungen jedoch nicht zu haben, erfolgreich, ja berühmt inzwischen und fortan ständig gefährdet.
Die Zeiten in Dänemark ziemlich trüb. Brecht, abgeschnitten von der Welt, beraubt aller Möglichkeiten, praktische Theaterarbeit zu leisten, beklagte seine Einsamkeit und konnte später froh sein, dass er mit heiler Haut davonkam, den Nazis ebenso entronnen wie dem Terror Stalins. Verdächtig blieb er auch in den USA, ein Stückeschreiber, dem das Theater im Grunde versperrt blieb (nur der »Galilei« mit Charles Laughton brachte es auf die Bühne), ein Autor, den man für einen Kommunisten hielt und der keine Wahl hatte, es sei denn, sich den herrschenden Marktgesetzen zu beugen.
Jan Knopf schildert das alles eindringlich und prägnant, er erzählt das Private, skizziert Liebesgeschichten (aber nicht alle), analysiert kurz die wichtigsten Stücke, und er zeigt den Heimkehrer, den die Schweiz bespitzelte und verfolgte, weil sie ihn nicht haben wollte, den der Westen ignorierte und boykottierte (wie er alle Emigranten ignorierte) und der nach langem Hin und Her und den energischen Interventionen Helene Weigels schließlich doch noch zu einem eigenen Theater kam und damit die Chance erhielt, seine Exilstücke in der Praxis zu erproben. So landete Brecht im Osten, umgeben und belauert von den alten Feinden, die sein episches Theater attackierten, weil es nicht der in Moskau verordneten Ästhetik entsprach, und ihm noch Steine in den Weg warfen, als die Berliner Erfolge und die Pariser Ovationen nach den BE-Gastspielen schon nicht mehr zu überhören waren. Listig und vorausschauend, wie er war, hatte er immerhin vorgesorgt: Er besaß einen österreichischen Pass, und die Rechte an seinem Werk hat er rechtzeitig Peter Suhrkamp, seinem Verleger im Westen, überlassen.
Die Biografie, die erste nach langer Zeit, zeigt die Handschrift des Experten, der seinen Brecht aus dem Effeff kennt und ihn groß vor uns hinstellt, und sie ist wichtig nicht zuletzt, weil sie auch den in letzter Zeit abgewerteten, in Frage gestellten Stücken Brechts (die ja immer noch gespielt werden) und seiner Theaterarbeit besondere Beachtung schenkt.
Aber es gibt einige Unebenheiten. Mal nimmt sich Knopf viel Zeit, dann wieder gibt er sich denkbar knapp, verkürzt, rafft, lässt weg, überspringt, was ihm allzu bekannt erscheint. Die couragierte Helene Weigel zum Beispiel, die im Exil zum Hausfrauendasein verdammt war und den ganzen Brecht-Clan (mit den Geliebten) versorgte, kommt nur am Rande vor, ganz anders als die hochtalentierte, todkranke Margarete Steffin, die hier breiten Raum erhält (mit all dem sexuellen Begehren, das sich in den zitierten Sonetten der Liebenden ausspricht). Seltsam auch, dass der Lyriker zwar hin und wieder vorgestellt wird, in seinem Rang aber ohne Würdigung bleibt. Und dann, unvermutet, der abrupte Schluss. Mit dem 14. August 1956, dem Tod, endet das Buch. Kein Wort zum Nachruhm, zum Triumph Brechts etwa in der Bundesrepublik nach 1968, wie ja auch die hektischen Attacken und Abwehrriten der Adenauer-Ära wohl erwähnt, aber nicht vertieft werden.
Brecht-Kenner, vertraut mit Werk und üppiger Sekundärliteratur, werden hier möglicherweise wenig finden, was wirklich neu ist. Brecht-Anfänger dagegen müssen sich damit abfinden, dass die fünfhundert Seiten Lücken lassen.
Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Carl Hanser Verlag, 559 S., geb., 27,90 €.
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