Groß, ehrlich, schrecklich

Am Wochenende bekam Felicitas Hoppe in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein bestimmter Reflex rückt jeden mit dem Georg-Büchner-Preises geehrten Autor in ein besonders prüfendes Licht. Fällt der Name des Dichters, drängt sich der Gedanke des Revolutionären, des eminent Politischen unweigerlich und geradezu belastend auf - und scheinbar existiert kein deutscher Literaturpreis, bei dem so unbedingt vom politischen Ethos des Namensgebers auf den Preisträger geschlossen und also, unvermeidbar, ein Missverhältnis festgestellt werden muss.

Wer nämlich darf von sich behaupten, dem Anarchisten und libertären Frühkommunisten, dem klassenkämpferischen Büchner auch nur in Ansätzen zu entsprechen. Es ist dieser Druck des unzumutbaren, aber doch quälenden Vergleichs, der seit Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen auch die Dankesreden der Preisträger durchzieht - wie eine Pflichtübung wider das schlechte Gewissen. »Wie darf ich mich auch nur einen Augenblick in dieses Licht bringen, mich dem Genius gesellen, mich dem Schein der Unsterblichkeit aussetzen, ohne mich lächerlich zu machen?« So wand sich 1962 der Ausgezeichnete Wolfgang Koeppen.

Brigitte Kronauer fand 2005 Trost in der wohl entscheidenden Wahrheit: Anders als im »Hessischen Landboten« wisse Büchner dann, wenn er nicht agitiere, also in der Kunst, »dass die Welt nicht nur aus Hütten besteht, in denen verborgene Helden wohnen, und aus Palästen, in denen der Satan haust«. In diesem Werk findet sich nichts vom »verführerischen Abkürzungsdenken« und vom historischen Optimismus, mit dem die Klassenstandpunktfesten die Welt »bei Pannen und Ungereimtheiten wieder sauber zurechtklempnern können«.

Bei Büchner sind moderne Psychologie, Verzweiflung über Selbst- und Weltentfremdung, über Mechanisierung des Lebens und Langeweile als Grundgefühl flackernd und extrem vermischt; die Welt ist stets eine komplizierte und metaphysische, der Mensch ein Kompendium aus Bejahung und Verneinung - »es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke: ich glaube, es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind« (so heißt es in »Leonce und Lena«, und es ist, als sei da einem Kleist vorweggeschrieben, dem »auf Erden nicht zu helfen« war).

»Ich bin ein Automat, die Seele ist mir genommen«, klagt Büchner, im März 1934, seiner Braut nach Straßburg. Mit dem gleichen Bild endet die zwei Jahre nach dem Tod ihres Verfassers in Gutzkows »Telegraph für Deutschland« veröffentlichte Erzählung über den »unglücklichen Poeten« Jakob Michael Reinhold Lenz. Das Gefühl allumfassender Leere und grenzenloser Einsamkeit, die fatalistische Lethargie und das unbändige Verlangen nach Ruhe teilt Lenz mit Danton. Und wie Leonce und Lena ein Arkadien ohne Uhren und Kalender, so sucht auch Lenz einen utopischen Ort, an dem er mit den »verlornen Träumen« zu überwintern vermag.

Man möchte einem Büchner-Helden eine Welt wünschen, in der es nicht mehr so absolut verzweifelt und absagend, sondern ganz heiter und befreit klingen darf, wenn der Mensch solche Sätze schreibt: »Ich liebe einsilbige Ortschaften. Ich liebe das Fremdsein.« Das sind zwei Sätze von Felicitas Hoppe, aus einem FAZ-Essay über den Schweizer Fotografen Arnold Zwahlen. Hoppe, Jahrgang 1960, zuletzt schrieb sie »Hoppe«, eine Autobiografie-Phantasie, erhielt am Sonnabend in Darmstadt den diesjährigen Georg-Büchner-Preis.

»Verbrecher und Versager« heißt eines ihrer schönsten, verwegensten Bücher. Fünf Porträts von Menschen, die per Schiff das Weite suchen, um sich einer Welt zu entziehen, in der ihre Gaunereien verfolgt, ihre Aufschneidereien kühl abserviert, ihre Lumpereien bespuckt und ihr Pech verhöhnt wird. »Ich verlange in allem - Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist's gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist.« Schrieb Büchner. Wunsch derer, die sich die Welt hernehmen wollen für ihre Erdenzeit - die ja nicht Zeit, sondern nur immer Frist ist - und die also das Recht haben auf Abenteuer und Verschwendung im Unnützen. Hoppe in »Sieben Schätze«, ihren Augsburger Vorlesungen: »Wer sagt uns, dass Literatur schön sein soll? Groß soll sie sein, ehrlich und schrecklich.« Wie der Mensch ist; groß im Verlangen, ehrlich im Egoismus, schrecklich im Irrtum.

Sie hat den Roman »Johanna« geschrieben, die Heilige als Sinnbild des Wilden, Wehen, Wüsten, Weichen, und sie hat den Roman über »Iwein Löwenritter« geschrieben, der eines Tages nackt und schmutzig und nur mit einer Rüstung aus Schlamm lebt und so dem König Lear auf jener so sehr sturmumtosten Heide nicht unähnlich ist. Räudige. Ruppige. Rumtreiber. Ruhelose. Randständige. Reisende, wie Hoppe selbst, die monatelang auf einem Containerschiff fuhr und höchst wachsam darauf achtet, dass sich niemals drei Dinge vereinen: der Traum von etwas, die Erfüllung des Traums und die Erzählung darüber.

»Ich bekenne mich zu dem Beruf des Schriftstellers. Ich glaube an das Wort.« So beendete Wolfgang Koeppen 1962 seine Preisrede. Der Schriftsteller ist der Einsame, der Beobachter, der Außenseiter. Stärker kann die Anforderung ans Menschliche nicht sein. Das dürfte wohl nah an Büchner sein. Felicitas Hoppe ist es auch.

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