Der gespaltene Traum
Barack Obama beschwört nach seinem zweiten Wahlsieg die Einheit der USA
Auch wenn gestern bis Redaktionsschluss dieser Seite in Florida noch immer gezählt wurde, entscheidenden Einfluss auf den nationalen Wahlausgang hat der umstrittene Bundesstaat dieses Mal nicht. Erstaunlich reibungslos hatte Amtsinhaber Barack Obama zuvor die für einen Wiedereinzug ins Weiße Haus erforderliche Hürde von 270 Wahlmännerstimmen genommen. Doch die Vereinigten Staaten bleiben auch in der zweiten Amtszeit des ersten afroamerikanischen Präsidenten ein gespaltenes Land. Auf etwa 50 Prozent der rund 117 Millionen ausgezählten Stimmen kam Obama landesweit, auf 48 Prozent sein republikanischer Konkurrent Mitt Romney.
Einen wichtigen Baustein für Obamas Sieg lieferte die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe der Latinos. Stellte sie 1988 drei Prozent der Wähler, sind es inzwischen über elf. 71 Prozent von ihnen stimmten für den Präsidenten, nur 27 Prozent für den
Herausforderer. Hier machte sich zweifellos bezahlt, dass die Regierung nach Jahren massiver Ausweisungen mitten im Wahlkampf einen Kurswechsel verkündete: Am Kongress vorbei verfügte Obama, dass illegale Immigranten, die als Kinder oder Jugendliche in die USA gekommen sind, ab sofort nicht mehr abgeschoben werden. Sie erhalten zudem das Recht, sich um einen Arbeitsplatz zu bewerben. Gemeinsam mit den 91 Prozent der afroamerikanischen Stimmen und den 74 Prozent der Wähler mit asiatischen Wurzeln konnte Obama so die Einbußen unter den weißen Wählern wettmachen: Die haben zu 59 Prozent für Romney votiert, für den Demokraten waren es nur 39 Prozent, fünf weniger als 2008. Wobei diese Gruppe nur noch 72 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht; zu Reagans Zeiten waren es noch 89 Prozent. Auch unter den Frauen (55 zu 44 für Obama) profitierte der Amtsinhaber vom moderneren Gesellschaftsbild seiner Partei und den gesetzlichen Bemühungen um mehr Gleichberechtigung. Und je jünger die Wähler, um so größer die Mehrheit für ihn. Das macht Hoffnung auf Veränderungen.
Gerade die Minderheiten verbinden mit Obamas Wiederwahl jene auf sozialen Aufstieg. Die Schere zwischen Arm und Reich ist während seiner Präsidentschaft aber nicht kleiner geworden, die Arbeitslosenrate bei den Afroamerikanern sogar gewachsen. Die Gesamtquote lag mit 7,9 Prozent zuletzt leicht höher als bei Amtsantritt. Fast 50 Millionen USA-Bürger leben heute unter der Armutsgrenze. Dagegen besitzt das eine Prozent der reichsten Bürger inzwischen mehr als ein Drittel des Vermögens in den USA; die reichsten zehn Prozent sogar über 77 Prozent.
Hier vor allem muss Obama gegensteuern, will er einen sozialen Kollaps vermeiden. Dabei steht schon die nächste Zerreißprobe an: Einigen sich Demokraten und Republikaner nicht, treten 2013 Milliardeneinsparungen nach dem Rasenmäherprinzip in Kraft, die die soziale Schieflage weiter verschärfen würden. Zudem muss der Riesenberg der Staatsschulden von 16 Billionen Dollar abgebaut werden. Aber werden dafür auch die Reichen wirklich zur Kasse gebeten? Durch die nach den Kongresswahlen unveränderte Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus droht weiter innenpolitische Lähmung. Barack Obama beschwor in seiner Siegesrede die Einheit der »amerikanischen Familie«. Die ist längst eine Schimäre. Zumal die größte Gruppe jene der Nichtwähler sein dürfte.
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