»Völlig intransparent«

Alfred Spieler erklärt, warum Rentenerhöhungen manchmal verdeckte Kürzungen sind / Alfred Spieler ist Referent für Sozialpolitik beim Volkssolidarität Bundesverband

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Im Jahr 2013 sollen die Renten im Osten mit drei Prozent stärker steigen als im Westen mit nur einem Prozent. Ist das die Rentenangleichung durch die Hintertür?
Spieler: Vorsicht. Zuerst muss man die Frage stellen, ob diese Prognose tatsächlich eintreten wird. Im vergangenen Jahr wurde auch vorhergesagt, dass die Renten im Osten um 3,6 Prozent steigen sollen. Tatsächlich sind sie dann zum 1. Juli dieses Jahres nur um 2,26 Prozent angepasst worden.

Aber wieso soll die Rentenerhöhung im Osten überhaupt stärker ausfallen als im Westen?
Das Problem ist, dass wir seit der Einheit zwei unterschiedliche Rentenrechtsgebiete haben. Das hängt mit den sehr unterschiedlichen Lohnniveaus in Ost und West zusammen. Ursprünglich war angenommen worden, dass sich die Löhne bis Ende der 90er Jahre angleichen würden. Allerdings hat der Osten bis heute nicht aufholen können. Das macht sich auch bei der Rente bemerkbar.

Aber müsste die Rentenerhöhung in den Neuen Ländern dann nicht geringer ausfallen? Schließlich verdienen die Menschen hier weniger.
So einfach ist es nicht. Im wesentlichen gibt es keine großen Preisunterschiede mehr zwischen Ost und West. So gibt es eine größere Angleichung bei den Preisen, als das leider bei den Löhnen und Gehältern der Fall ist.

Deshalb werden die Ost-Renten künstlich hochgerechnet?
Nein. Vieles hängt damit zusammen, dass es unterschiedliche Entwicklungen bei den Versicherteneinkommen gibt. Außerdem haben wir ja keine Rentenanpassungen, die die Entwicklung der Löhne adäquat widerspiegeln. Stattdessen haben wir in der Rentenanpassungsformel bestimmte Dämpfungs- oder Kürzungsfaktoren. Dazu gehört auch, dass Kürzungen, die in der Vergangenheit unterblieben sind, nun nachgeholt werden. Dies ist im Jahre 2012 im Osten vollständig erfolgt. Im Westen besteht aber ein Nachholbedarf von 0,7 Prozent. Unter anderem deshalb fällt die Rentenerhöhung dort niedriger aus.

Im Endeffekt büßen die westdeutschen Rentner jetzt dafür, dass die Politik vor ein paar Jahren nicht den Mut hatte, diese Absenkungen gleich vorzunehmen?
Ja. Die Finanzkrise machte sich 2009 auch bei den Löhnen und Gehältern bemerkbar. Entsprechend der negativen Lohnentwicklung hätten die Renten sinken müssen. Allerdings verteilte man die Kürzung, die rein rechnerisch notwendig gewesen wäre, auf die Folgejahre. Der Gesetzgeber spricht hier vom Nachholfaktor.

Nachhol- und Nachhaltigkeitsfaktor, Riestertreppe - die Rentenberechnung ist für Laien doch nicht mehr nachvollziehbar …
In der Tat ist die Rentenformel für viele nicht mehr nachvollziehbar. Der frühere Bundesarbeitsminister Walter Riester sollte mal die Rentenanpassungsformel erklären und kam dabei ganz schön ins Schleudern. Wir haben inzwischen ein Konglomerat von verschiedenen Kürzungsfaktoren, die sich teilweise aufeinander beziehen. So ist für die Rentner völlig intransparent, auf welcher Grundlage die Anpassungen erfolgen.

Wenn kaum noch jemand durchsieht, fällt es der Bundesregierung leichter, mit der Rente Politik zu machen.
Das ist zutreffend.

Fragen: Fabian Lambeck

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