Die Nacht des Milliarden-Pokers
Staats- und Regierungschefs verhandeln bei Sondergipfel über EU-Budget 2014 bis 2020
An Warnungen und Drohgebärden hat es im Vorfeld nicht gemangelt, jetzt beginnen die Stunden der Wahrheit: Heute Abend treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum Pokern um Milliarden. Es geht um das Geld, das der Union zwischen 2014 und 2020 zur Verfügung stehen soll. Etwa eine Billion Euro stehen zur Debatte, und in dem Wörtchen »etwa« steckt der Kern des Streits.
Die EU-Kommission, die den ersten Vorschlag für den so genannten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU auf den Tisch legen durfte, fordert 1033 Milliarden Euro. Das sind 40 Milliarden Euro mehr als im auslaufenden Etat für die Jahre 2007 bis 2013. Die Kommission begründet die Steigerung vor allem mit einem notwendigen Inflationsausgleich.
Dagegen stellen sich vor allem die Nettozahler quer, also jene Länder, die mehr Geld an die EU überweisen, als sie durch EU-Programme zurückerhalten. Neben Deutschland gehören dazu unter anderem Großbritannien und Frankreich (siehe Grafik). Ihr Argument: In Zeiten der Krise, in denen alle Staaten ihre nationalen Ausgaben beschneiden, könne es nicht sein, dass die EU mehr Geld bekomme. Ihnen stehen die Empfängerländer wie Polen, Rumänien oder Spanien gegenüber. Sie plädieren dafür, das Budget aufzustocken, da sie sind in vielen Bereichen auf EU-Gelder angewiesen sind. In Lettland etwa werden 90 Prozent der öffentlichen Investitionen mitfinanziert. Es profitiert vor allem vom größten Ausgabenbereich »Nachhaltiges Wachstum«.
Die Nettozahler wollen den Kommissionsvorschlag um mindestens 100 Milliarden Euro zusammenstreichen, der britische Premierminister David Cameron gar um 200 Milliarden Euro. Obwohl er bereits den Erhalt des »Briten-Rabatts« durchsetzen konnte. Mit dieser aus den 80er Jahren stammenden Regelung sparte Großbritannien allein im letzten Jahr rund 3,6 Milliarden Euro EU-Mitgliedsbeitrag. Cameron droht nun mit einer Blockade des MFR. Bei der Entscheidung im Rat ist Einstimmigkeit erforderlich.
Sollte es tatsächlich zu einem Veto eines oder mehrerer Länder kommen, gibt es aber einen Plan B. So ist aus Brüsseler Diplomatenkreisen zu hören, dass die verbleibenden 26 oder weniger Staaten einen eigenen Haushalt »ohne x« verabschieden. Das würde zwar gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Doch die EU bliebe handlungs- und planungsfähig.
Daran hat auch die Bundesregierung Interesse. So ist zu hören, dass sich Kanzlerin Angela Merkel mit dem Kompromissvorschlag des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy anfreunden kann. Er sieht 80 Milliarden Euro weniger als die EU-Kommission vor. Allein bei den Geldern für die Landwirtschaft sollen 25 Milliarden, bei den Strukturhilfen 29 Milliarden Euro eingespart werden. Proteste der Empfängerländer sind programmiert, aber auch Frankreich und Italien werden Einsparungen im zweitgrößten Ausgabenblock Agrarpolitik nur schwer schlucken.
Mit einer schnellen Einigung rechnet in Brüssel deshalb keiner. Van Rompuy hat in seinem Einladungsschreiben schon vermeldet, dass alles für eine Verlängerung des Gipfels über Freitag hinaus vorbereitet sei. Ein Abschluss der Verhandlungen müsse das oberste Ziel bleiben. Zumal das Ergebnis dann noch mit dem Europäischen Parlament (EP) abgestimmt werden muss. Es hat in Haushaltsfragen ein Mitentscheidungsrecht und fordert deutlich mehr Geld als die EU-Kommission. Der Präsident des EP, Martin Schulz (SPD), sagte am Mittwoch in Straßburg, er sei sich nicht sicher, »dass der Rat die Dramatik der Situation bereits begriffen hat«. Die von den Regierungschefs selbst beschlossenen Ziele müssten finanzierbar bleiben. Gabi Zimmer, Vorsitzende der Linksfraktion GUE/NGL, forderte den Rat zur Aufgabe seiner Blockade auf. Beim MFR gehe es um »das Funktionieren, das Überleben, um die Zukunft der EU«.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der mit den Staats- und Regierungschefs zunächst im »Beichtstuhlverfahren« verhandeln will, betonte sein Nein zu Kürzungen. 94 Prozent des Etats kämen direkt den EU-Bürgern zugute.
Falls es bis Jahresende keine Einigung geben sollte, würden die Obergrenzen für 2013 plus einem Inflationsausgleich gelten und die Beträge Monat für Monat ausgezahlt werden.
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