»Der Präsident regiert, wie er will«
Friedensaktivist Jehan Perera beklagt die fehlende politische Lösung in Sri Lanka
nd: Vor dreieinhalb Jahren endete in Sri Lanka der Bürgerkrieg mit dem militärischen Sieg der Regierungstruppen über die Rebellen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE). Ist das Land heute stabil und demokratisch?
Perera: Nein. Problematisch sind vor allem die anhaltenden Bestrebungen der Regierung, die Macht in den eigenen Händen zu konzentrieren. Das vermittelt nach außen zwar den Eindruck von Stabilität, für den demokratischen Prozess im Inneren ist das jedoch eine Gefahr.
Aber die Regierungskoalition von Präsident Mahinda Rajapakse hat die letzten Wahlen im April 2010 haushoch gewonnen. Sie hat eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und ist politisch legitimiert.
Präsident Rajapakse regiert wie er will, ohne auf das System der Gewaltenteilung Rücksicht zu nehmen. Nach der Parlamentswahl 2010 hat er die Verfassung zu seinen Gunsten ändern und die Beschränkung auf zwei Amtszeiten streichen lassen. Das Mandat dafür hat er nach eigener Ansicht durch die Wahlergebnisse und seine große Beliebtheit in der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit seit dem Sieg über die LTTE. Rajapakse entscheidet, was politisch richtig oder falsch ist.
Und die Oppositionsparteien?
Die sind schwach und zerstritten. Daher gibt es derzeit kein starkes politisches Korrektiv, dass die Regierung kontrollieren oder ihr etwas entgegensetzen kann.
Es gibt Bestrebungen, die Oberste Richterin des Landes abzusetzen. Ist auch das Teil des präsidialen Machtspiels?
Der Oberste Gerichtshof hat in den letzten Jahren immer wieder Entscheidungen getroffen, die der Regierung nicht passten. Nun wirft man Shirani Bandaranayake,der Vorsitzenden des Gerichts, schweren Verfehlungen vor. Ein Amtsenthebungsverfahren wurde eingeleitet. Doch ein fairer Prozess ist nicht zu erwarten, denn das Ziel der Regierung ist es, ein politisches Hindernis aus dem Weg zu räumen. Im Parlament verfügt sie über die notwendige Mehrheit, um die Oberste Richterin abzusetzen - selbst wenn deren Unschuld bewiesen werden sollte.
Wie stark sind die zivilgesellschaftlichen Kräfte?
Stimmen aus der Zivilgesellschaft interessieren die Regierung nicht. Zudem herrscht eine Kultur der Angst, die die Leute von öffentlichen Äußerungen und größeren Aktionen abhält. Die Zahl der entführten oder getöteten Regierungskritiker ist zwar viel kleiner als noch während des Krieges. Doch es verschwinden noch immer Menschen, was viele Akteure der Zivilgesellschaft zutiefst verunsichert.
Wie ist die Lage im Norden und Osten Sri Lankas, in den Gebieten, die jahrzehntelang von der LTTE beherrscht wurden?
Die Tamilen haben noch immer das Gefühl, diskriminiert und benachteiligt zu werden. Die Hauptursache für den jahrzehntelangen blutigen Konflikt mit der LTTE ist also nicht beseitigt worden. Im Gegenteil: Die Polarisierung zwischen Regierung und tamilischer Minderheit hält an. Eine dauerhaft und tragfähige politische Lösung ist nicht in Sicht.
Was genau beklagen die Tamilen?
Dass ihnen die Regierung nicht einmal ein beschränktes Recht auf Selbstverwaltung eingeräumt hat. Zudem gibt es im Norden und Osten weiterhin eine massive Militärpräsenz, durch die sich die Menschen bedrängt und eingeschüchtert fühlen. Es wurde auch zu wenig investiert, um denjenigen zu helfen, die im Krieg alles verloren haben. Diese Unzufriedenheit ist auch der Grund, weshalb es in der Nordprovinz bislang keine Wahlen gab, denn die 95 Prozent Tamilen in dieser Region würden wohl geschlossen gegen die Regierung stimmen.
Gibt es überhaupt einen Aussöhnungsprozess zwischen Tamilen und Singhalesen?
Vor allem bürgerliche und religiöse Organisationen engagieren sich, um Brücken zwischen den Menschen der verschiedenen ethnischen Gruppen zu bauen. Sie organisieren Aufklärungskampagnen und Austauschprogramme. Das Fehlen einer politischen Lösung, mit der alle Seiten leben können, wird damit allerdings nicht wettgemacht. Deshalb fühlen sich die meisten Tamilen weiterhin an den Rand gedrängt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.