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Merkel grillt Frankreich

  • Dierk Hirschel
  • Lesedauer: 3 Min.
Von Dierk Hirschel, ver.di-Bereichsleiter Wirtschaftspolitik
Von Dierk Hirschel, ver.di-Bereichsleiter Wirtschaftspolitik

Im Mai wählten die Franzosen den Politikwechsel. Der Sozialist François Hollande hielt zunächst Wort: Die Rente mit 60 ist wieder da. Der Mindestlohn wurde erhöht. Jungen Arbeitslosen wird geholfen. Manager werden mit einer 75-prozentigen Reichensteuer geschröpft.

Jetzt aber macht die schwächelnde Wirtschaft den regierenden Sozialisten das Leben zur Hölle. Frankreich droht im Winter eine Rezession. Die Aussichten für 2013 sind nicht besser. Die Eurokrise hat Paris fest im Griff. Nachdem Angela Merkel ganz Südeuropa kaputtgespart hat, kaufen klamme Italiener und Spanier keine französischen Autos mehr. PSA Peugeot Citroën und Renault schreiben rote Zahlen und kündigen Werksschließungen an. Jeder zehnte Franzose hat keine Arbeit mehr. Von den Jugendlichen ist jeder Fünfte erwerbslos. Zudem ist die kriselnde Wirtschaft schlecht für die Staatsfinanzen. Die Schuldenquote - der Anteil der Staatsverschuldung am Sozialprodukt - kletterte auf über 90 Prozent.

Jetzt ist Schluss mit lustig. Die Finanzmärkte legen Frankreich auf den Grill. Zwei Ratingagenturen senkten bereits die Daumen. Private Gläubiger drohen an der Zinsschraube zu drehen. Gleichzeitig läuft eine breite Kampagne gegen Hollandes Wirtschafts- und Sozialpolitik. »Frankreich ist eine Zeitbombe im Herzen Europas«, titelte jüngst der britische »Economist«. Der französische Staat sei zu fett, die Steuern zu hoch, die Industrie nicht wettbewerbsfähig und der Arbeitsmarkt verkrustet.

Die Reaktion der regierenden Sozialisten ließ nicht lange auf sich warten. Monsieur le Président will jetzt eisern sparen und einen nationalen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit schließen. Louis Gallois - der gallische Peter Hartz - möchte die Unternehmen in den nächsten drei Jahren um 20 Milliarden Euro entlasten. Kurzum: Paris droht eine gallische Agenda 2010. Dem Kurswechsel droht das Ende, bevor er richtig begonnen hat.

Das französische Drama dokumentiert die Ohnmacht nationaler Politik. Auf entfesselten Finanzmärkten und in einem Europa des Marktes gibt es kaum Spielräume für eine fortschrittliche nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wer beim grenzüberschreitenden Unterbietungswettbewerb um Steuern, Sozialausgaben und Löhnen nicht mitspielt, dem drohen die Unternehmen mit Abwanderung und die Kapitalmärkte mit Strafzinsen. Wobei Deutschland durch Billiglöhne und Steuersenkungen seinen linksrheinischen Nachbar ständig unter Druck setzte.

Die Erpressbarkeit der Politik ist aber kein Sachzwang. Das Primat demokratischer Politik kann wieder hergestellt werden. Dafür müssen zunächst die Staaten aus der Geiselhaft der Finanzmärkte befreit werden. Die Staatsfinanzierung kann von den Kapitalmärkten entkoppelt werden, wenn die Europäische Zentralbank diesen Job übernimmt. Und ein neues Regelwerk für die Finanzmärkte kann die Bankenmacht brechen.

Darüber hinaus würde eine enge Abstimmung der nationalen Steuer-, Lohn- und Sozialpolitiken die Konkurrenz der Wettbewerbsstaaten überwinden. Europäische Mindeststeuersätze, ein europäischer Mindestlohn und soziale Standards helfen gegen Steuer-, Lohn- und Sozialdumping.

Eine andere Politik ist möglich, wenn viele Europäer mitmachen. Eine andere europäische Politik scheitert aber bis heute am Widerstand der deutschen Regierung. Allein hat die Grande Nation keine Chance. Sie verglüht auf dem Teutonengrill. Folglich müssten die französischen Sozialisten jetzt ein europäisches Bündnis gegen Merkels Politik schmieden. Gelingt das nicht, bleibt Paris nur die Hoffnung auf einen deutschen Politikwechsel im nächsten Herbst.

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