»Ein lebendiges Haus«

Die neue Synagoge in Ulm wird eingeweiht

  • Simon P. Laufer, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach 74 Jahren haben die Ulmer Juden wieder eine eigene Synagoge. Am Sonntag wird das Gotteshaus, das zugleich Gemeindezentrum ist, eröffnet.

Ulm. Drei Mal schon war die jüdische Gemeinde in Ulm am Ende. In den Pestpogromen im Mittelalter wurden die Juden verfolgt, im 15. Jahrhundert ausgewiesen. In den Novemberpogromen 1938 wurden nicht nur Juden gejagt, auch die große Synagoge auf dem Weinhof wurde niedergebrannt.

Jetzt, 74 Jahre später, blüht in der Stadt wieder jüdisches Leben. Sichtbarer Ausdruck davon ist die neue Synagoge, die an der Stelle der alten gebaut wurde. Zur Einweihung am Sonntag werden mehr als 400 Gäste erwartet, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Vertreter der israelischen Regierung.

Mitten in der Stadt steht das Gotteshaus, in Sichtweite des Münsters. »Wir sehen ideale Bedingungen, dass die Gemeinde im Zentrum ankommen wird und sich hier entfalten kann«, sagt Barbara Traub, Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg.

Es sei eines der großen Ziele des Neubaus, dass die jüdische Gemeinde stärker Teil der Stadtgesellschaft wird. Durch Konzerte, Ausstellungen, Vorträge und Tage der offenen Tür soll ein Ort entstehen, »wo man jüdisches Leben und Kultur kennenlernen kann«, sagt Traub.

Gotteshaus und Gemeindezentrum

Auch für den Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik ist das wichtig, zugleich weiß er um die Schwierigkeiten. »Wir müssen die Balance finden zwischen der offenen Begegnung und dem Sicherheitsaspekt.« Bei der Eröffnung zumindest steht die Sicherheit im Vordergrund - wegen der vielen erwarteten Staatsgäste ist das Haus am Sonntag nicht öffentlich zugänglich.

Das Synagogengebäude wirkt auf den ersten Blick eher geschlossen. Wuchtig steht der Quader aus hellem Sandstein auf dem Weinhof, für eine Gemeinde mit etwa 400 Mitgliedern wirkt das Gebäude groß. Doch der Platz wird gebraucht, da eine jüdische Synagoge Gotteshaus und Gemeindezentrum zugleich ist. Auf den 926 Quadratmetern ist unter anderem ein Kindergarten mit Außenterrasse und Kletterwand untergebracht. Außerdem ein Jugendzentrum, Schulungsräume, der Gemeindesaal und der Gottesdienstraum selbst.

»Die Vielfalt des jüdischen Lebens kann sich hier entfalten«, sagt Traub. Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg hat in Ulm etwa 250 Mitglieder, hinzu kommen Juden aus dem Umland. Nach der Shoa war die Gemeinde lange Zeit sehr klein, erst seit 1992 sind viele Juden aus Osteuropa zugewandert. »Dadurch sind die Gemeinden bunter und vielfältiger geworden«, erzählt Traub.

Um der Zukunft willen

Schon einige Tage vor der Eröffnung steht die Synagoge den Ulmer Stadträten zur Besichtigung offen. Große Neugier ist dabei zu spüren, Rabbiner Trebnik muss viele Fragen beantworten. »Sieht aus wie eine Wellness-Oase«, sagt eine Stadträtin beim Anblick der Mikwe, dem Tauchbecken für das rituelle Bad der Frauen im Keller. »Gibt es hier auch einen Bademeister?«, fragt ein anderer. Trebnik beantwortet geduldig alle Fragen, so wie er auch künftig für alle Ulmer Bürger Ansprechpartner sein will.

Der Ulmer Förderverein für die Synagoge hat einen Teil zur Bausumme von 4,6 Millionen Euro beigetragen. Auch das Land Baden-Württemberg und private Spender haben die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg bei dem Bau unterstützt.

Sehr positiv sind die Reaktionen der Besucher beim ersten Rundgang durch die Synagoge. Nach sechs Jahren Planung und anderthalb Jahren Bauzeit kann die jüdische Gemeinde ihre Synagoge nun mit Leben füllen. Denn die traumatische Geschichte der Ulmer Juden soll zwar nicht vergessen werden, aber nicht im Mittelpunkt stehen, sagt Rabbiner Trebnik: »Wir bauen hier eine Synagoge nicht wegen oder trotz der Vergangenheit, sondern um der Zukunft willen. Wir wollen ein lebendiges Haus bauen, kein Museum.«

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