Organisierte Steuerhinterziehung
Finanzdienstleister bieten Vermögenden einen Service mit Tarnfirmen und Strohmännern an
Nachdem kürzlich Konzerne wie Amazon und Google wegen Steuerhinterziehung in Großbritannien ins Kreuzfeuer geraten waren, haben die BBC, die Londoner Tageszeitung »The Guardian« und das Washingtoner »International Consortium of Investigative Journalists« (ICIJ) jetzt nachgelegt. Ihre Recherchen brachten einen blühenden Sektor ans Licht, der sich auf organisierte Steuervermeidung spezialisiert hat. Einige der angebotenen Leistungen brechen klar das Gesetz.
Durch versteckte Videoaufnahmen der BBC konnte eine Vielzahl von Finanzdienstleistungsunternehmen identifiziert werden, die sich ausschließlich mit der Gründung von Tarnfirmen in britischen Überseeterritorien in der Karibik beschäftigen. Offen wird damit geworben, bei Steuerhinterziehung oder Geldwäsche ein Auge zuzudrücken. So riet James Turner, Geschäftsführer von Turner Little in York, einem verdeckt recherchierenden Journalisten, sein unversteuertes Einkommen aus der Schweiz ins Steuerparadies Belize zu überweisen. Turner bot dabei eine dort angesiedelte anonyme Stiftung an, wo ein Strohmann als Geschäftsführer eingesetzt würde, doch der Kapitalinhaber behalte die volle Kontrolle. Turner gab an, dass einige seiner Strohmänner lediglich dafür bezahlt würden, Dokumente zu unterzeichnen, und sich ihrer offiziellen Position gar nicht bewusst seien. Er versicherte, schon 10 000 solcher Firmen hochgezogen zu haben, und garantierte volle Anonymität. Turner wusste zu berichten, dass der Fiskus seine Geschäftsmodelle nicht dem eigentlichen Investor zuordnen könne.
Die Recherchen werfen daher auch ein schlechtes Licht auf die britischen Behörden. Diese hatten nach Bekanntwerden eines Steuerskandals auf der Kanalinsel Sark Ende der 1990er Jahre versichert, der Einsatz von Strohmännern sei künftig unmöglich. Damals war bekannt geworden, dass die 600 Insulaner 15 000 Direktorenstellen innehatten. Laut der aktuellen Untersuchung wurde diese Praxis nicht beseitigt, sondern hat sich lediglich nach Übersee verlagert. Mehr als 21 500 Tarnfirmen werden demnach von einer Gruppe von 28 Strohmännern und -frauen geleitet. Der Einsatz solcher Personen erlaubt es reichen Geschäftsleuten und Investoren, Transaktionen und Vermögen von ihrer Person abzukoppeln, etwa um Steuern zu minimieren.
Die Angebote richten sich auch an ausländische Investoren, etwa reiche Russen, die Immobilien in Großbritannien erworben haben. Einem Journalisten, der sich als Ausländer ausgab, garantierte Russell Lebe, Geschäftsführer von Ready Made Companies World-wide, dass seine Investitionen in Großbritannien vor der ausländischen Finanzbehörde sicher seien. Er schlug vor, Unterschriften und Dokumente zu fälschen.
Dem britischen Staat entgehen durch Steuerhinterziehung nach Schätzungen vier Milliarden Pfund (fünf Milliarden Euro) pro Jahr. Zwar sehen die Finanzämter den Kampf dagegen als Priorität an, doch gibt es bisher kaum Erfolge. Eines der auf den Aufbau von Tarnfirmen spezialisierten Unternehmen erklärte: Die Wahrscheinlichkeit, von der Finanzbehörde gefasst zu werden, sei so groß, wie im Lotto zu gewinnen.
Lexikon
Offshore-Finanzplätze zeichnen sich durch extrem niedrige Steuern für Ausländer, ein hohes Maß an Vertraulichkeit und eine minimale Finanzmarktregulierung aus. Es handelt sich häufig um kleine Inseln außerhalb des eigentlichen Staatsterritoriums, daher ihr Name. Die meisten von ihnen sind ehemalige britische Kolonien oder Überseedependancen, die noch zum Vereinigten Königreich gehören. nd
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