Der Mann als Ernährer
Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften setzen auf das Alleinverdienermodell
Vati arbeitet und Mutti bleibt zu Hause, solche Rollenklischees haben sich längst überlebt - sollte man meinen. Doch eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung warnt vor einer Entwicklung »in die Gegenrichtung«. So folgen Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften der Logik des Alleinverdienermodells. Die Forschergruppe um Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), wollte wissen, »wie Paare zu den aktuellen Regeln des Sozialrechts stehen«. Dazu gehörten auch die Bedarfsgemeinschaften. Für ihre Studie befragten sie dazu mehr als 1200 Paare - Arbeitslose und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.
Die Studienteilnehmer mussten unter anderem die Regelungen zu den Bedarfsgemeinschaften bewerten. Dieses Konstrukt ist ein Kind der Hartz-Reformen. Demnach sind Ehepartner, die in einem Haushalt leben, dazu verpflichtet, einander finanziell zu unterstützen. Verliert etwa die Frau ihren Job und beantragt Hartz IV, so kann ihr das Jobcenter das Geld mit Hinweis auf die Einkünfte ihres Mannes verweigern. Wird also der Gesamtbedarf durch nur ein Einkommen gedeckt, gilt die Bedarfsgemeinschaft beim Jobcenter als nicht bedürftig.
Schon ein Blick auf die entsprechenden Statistiken zeigt, dass Frauen hierbei oftmals das Nachsehen haben. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom März 2012 sind derzeit 13 Millionen Frauen berufstätig. Davon allerdings viele in Teilzeit. Selbst wer Vollzeit arbeitete, kam dabei selten über die Niedriglohnschwelle von 1800 Euro brutto hinaus. Laut BA gelten 2,6 Millionen Vollzeit arbeitende Frauen als Geringverdienerinnen. Besonders schlimm sei die Lage im Gastgewerbe. Hier erhielten 79 Prozent der weiblichen Angestellten einen Niedriglohn, so die BA. Im Falle einer Entlassung haben diese Frauen oftmals keinen Anspruch auf das höhere Arbeitslosengeld I. Hartz IV kommt für sie nicht in Frage, wenn der Partner ausreichend verdient.
Diese Anrechnungsregeln seien ein »Rückgriff auf familiale Verpflichtungszusammenhänge«, kri-tisieren die Studienautoren. Dadurch konterkariere Hartz IV »die gleichberechtigte Beteiligung der Geschlechter an der Erwerbsarbeit«. Auch eine Studie des BA-eigenen IAB-Instituts kam zu dem Schluss, dass die Regelungen eine »mittelbare Diskriminierung« für Frauen darstellten.
Eine Mehrheit der für die Böckler-Stiftung befragten Paare lehnt diese Praxis ebenfalls ab. Immerhin 75 Prozent stimmten der Aussage zu, »der Staat solle gar nicht verlangen, dass jemand mit einem mittleren Einkommen den arbeitslosen Partner versorgen muss«.
Ganz grundsätzlich wollten die Forscher zudem wissen, wie sich die Befragten eine gute Beziehung vorstellen. Die Antworten wurden dann mit den Einstellungen zur Anrechnung der Partnereinkommen abgeglichen. Große Unterschiede brachte der Vergleich aber nicht zu Tage. Auch wer meint, es gehöre zu einer guten Beziehung, den Partner finanziell zu unterstützen, lehnte die Verpflichtung, für den arbeitslosen Lebensgefährten zu zahlen, ungefähr genauso häufig ab wie Menschen mit abweichenden Beziehungsvorstellungen. Für die Forscher ist die Sache damit klar: »Die vom Gesetzgeber unterstellte Versorgungsgemeinschaft entspricht überwiegend nicht der Sicht der Paare«. Einer »staatlich verordneten Verpflichtungsstruktur« stünden die Befragten »sehr kritisch gegenüber«.
Dies wollen die Autoren aber nicht als unsoziale Reflexe verstanden wissen. Die meisten Paare seien durchaus bereit, sich gegenseitig zu unterstützen. Allerdings gehört die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit für sie nicht dazu. Eine Mehrheit hält dies für eine originäre Aufgabe des Staates. Dieser solle die »wechselseitige Unterstützungsbereitschaft nicht über Gebühr beanspruchen«, so das Autorenteam.
Dies passt zu den restlichen Ergebnissen der Studie. So wollten Dreiviertel aller Befragten eine gerechte Umverteilung, einen angemessenen Lebensstandard für Arbeitslose und einen Arbeitsplatz für jeden, der arbeiten will. Für all dies solle gefälligst der Staat sorgen.
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