Frauen stärken Frauen
nd-Spendenaktion 2012: Aufklärungs- und Beratungskurse sorgen für Selbstbewusstsein in Vietnam
Vor Lachen wäre der Fahrer fast von der Straße abgekommen. Da werde ich natürlich neugierig, was ihn und die Mitarbeiterinnen der Frauenunion, SODIs vietnamesischer Partnerorganisation, so amüsiert. Wir sind gerade auf der Rückreise von dem Bergdistrikt Thuong Duong, wo wir sowohl ein abgeschlossenes Projekt von SODI besucht als auch Teilnehmerinnen des neuen Projekts getroffen haben.
Die Frage nach Kinderwunsch und Familienplanung mag ja in Deutschland eine sehr private sein, aber nicht so in Vietnam. Während die indirekte Frage einer geschiedenen und kinderlosen Dorfbewohnerin an den Fahrer über sein eventuelles Interesse, ihr zu einem Kind zu verhelfen, für Unterhaltung sorgt, wird doch auch der immense gesellschaftliche Druck deutlich, dem Frauen in Vietnam ausgesetzt sind. Eine kinderlose Frau werde nicht als vollständige Frau angesehen, erklärt mir Phuong, unser Mitarbeiter und Übersetzer.
In Vietnam steht hinter diesem Frauenbild natürlich auch die wirtschaftliche Notlage und Sorge um die Zukunft: Wer sorgt für mich, wenn ich alt bin? Diese Sorge beschäftigt ganz besonders Frauen mit einer körperlichen Behinderung, wie Frau Nguyen Hong Oanh von der vietnamesischen Selbsthilfeorganisation IDEA (Inclusive Development Action) in Hanoi erläutert: »Den Frauen mit Behinderung wird oft nicht zugetraut, dass sie die Aufgaben im Haushalt bewältigen können. Die Familien der Männer befürchten, dass sie sich damit nur mehr Arbeit einhandeln.«
Prinzipiell kann man feststellen, dass Vietnam bei der Umsetzung des dritten Millenniumentwicklungsziels, Gleichstellung der Geschlechter, gute Fortschritte macht. Der Anteil von Frauen in Parlamenten Vietnams ist einer der höchsten der Region, 46 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind Frauen. Allerdings arbeiten Frauen häufig in schlecht bezahlten Jobs, werden häufig ihrer Rechte beraubt. Auch häusliche Gewalt ist in Vietnam, wie in allen Ländern weltweit, ein stark verbreitetes Problem.
Um das Selbstwertgefühl der Frauen zu stärken, bietet die vietnamesische Partnerorganisation von SODI Aufklärungs- und Beratungskurse für Frauen aus den Dörfern an, die zum Teil als Multiplikatorinnen wirken und weitere Frauen über ihre Rechte aufklären. Kinderlosigkeit ist nur eines der heiklen Themen in der Gesellschaft. In den Kursen wird vor allem über Arbeitsrechte, Familienplanung, Gesundheitsvorsorge, aber auch über Frauenrechte, Frauenhandel und Gewalt in der Familie gesprochen. Eine Revolution der Frauen ist durch die Kurse nicht zu erwarten. Doch für die meisten Frauen, vor allem aus den etwas entlegenen Bergregionen, ist es das erste Mal, dass sie sich überhaupt mit diesen Themen beschäftigen. In ländlichen Regionen heißt es häufig, dass Frauen ihrer Pflicht nachkommen sollen: dem Ehemann gehorchen, dem Sohn gehorchen und der Schwiegermutter gehorchen. In dem geschützten Rahmen mit anderen Frauen tauen die Teilnehmerinnen auf und lernen, dass sie nicht Spielball sein müssen, sondern, dass sie auch in der vietnamesischen Gesetzgebung Möglichkeiten haben, sich zum Beispiel gegen Gewalt in der Familie zu wehren. Dabei hilft es, dass viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen der Frauenunion in den Bergdistrikten selber einer ethnischen Minderheit angehören und sich in die Situation der Frauen einfühlen können, die sie beraten. Rückblickend auf ein abgeschlossenes SODI Projekt sagt Frau Nguyen Thi Ha, Leiterin des Ausbildungszentrums der Frauenunion in Vinh: »Die Multiplikatorinnen aus den Bergdörfern haben eine große Stärke. Sie leben selbst in den Gemeinschaften, in denen sie Frauen aufklären und beraten sollen. Sie kennen die Probleme und Bedürfnisse der Frauen, die nach neuen Entwicklungschancen suchen. Ich habe große Achtung vor unseren Aktivistinnen, die ihre Arbeit mit so viel Feingefühl und Geduld durchführen. Daher kommen in den Begegnungen auch immer wieder sehr persönliche Probleme zur Sprache, zum Beispiel Gewalt in der Familie.« Nicht nur die Teilnehmerinnen werden durch diese Kurse gestärkt. Auch die Multiplikatorinnen selbst, die für ihre Aufgabe von der Frauenunion geschult werden, gehen gestärkt daraus hervor. Durch ihre Arbeit gewinnen sie an Selbstvertrauen. Einige von ihnen haben sich in den letzten Jahren für Leitungsfunktionen oder für kommunale Vertretungen zur Wahl gestellt.
Doch die Bewusstseinsarbeit allein schafft noch keine wirtschaftliche Grundlage und damit einen Weg aus der Armut. In Ausbildungskursen lernen die Frauen ein Handwerk, können einen Kleinkredit bekommen und werden von der Frauenunion bei der Suche nach einem Job oder bei der Gründung von Gruppen für die gemeinsame Produktion und Vermarktung ihrer Produkte unterstützt. »Die Frauenunion und das Ausbildungszentrum verstehen sich als Brücke der Frauen zur Arbeitswelt«, fährt Frau Ha fort. »Wir kooperieren mit der Arbeitsverwaltung, um auf dem Laufenden zu bleiben. Wir holen uns auch Informationen direkt von Unternehmen und deren Bedarf an Arbeitskräften. Die Kommunikation mit Unternehmen hilft uns, die Inhalte der Ausbildung weiter zu entwickeln.« Ein wesentlicher Vorteil der Ausbildungskurse der Frauenunion ist, dass sie dezentral an verschiedenen Orten durchgeführt werden. Denn wenn die Frauen nicht zu den Kursen kommen können, müssen die Kurse eben zu ihnen kommen.
Frauen gehören in Vietnam zu den Menschen, die von Armut besonders betroffen sind. Die Gründe liegen zum einen in den fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten gerade in den etwas entlegenen Bergdistrikten. Zudem ist es vielen Frauen durch die Verantwortung für Haushalt und Kinder nur möglich, in Heimarbeit oder mit anderen Frauen aus der Nachbarschaft gemeinsam Geld zu verdienen, um zum Beispiel auch die erntearmen Monate oder einen Ernteausfall nach einem Taifun zu überbrücken. Auch Frauen, die kein Vietnamesisch, sondern nur die Sprache ihrer ethnischen Gruppe sprechen, haben somit die Möglichkeit, in ihrem Distrikt ein Handwerk zu lernen und selber etwas Geld zu verdienen. Mit einem eigenen Einkommen erfahren die Frauen auch mehr Anerkennung in der Gesellschaft und gewinnen an Selbstvertrauen. Sie haben mehr Austauschmöglichkeiten mit anderen, ihr Radius weitet sich. Ihre Welt wird größer. Sich selbst als aktive und produktive Kraft zu erleben, kann auch kinderlosen Frauen helfen, dem gesellschaftlichen Druck etwas entgegenzusetzen.
Die 52-jährige Tran Thi Ty hat an einem Schneiderkurs der Frauenunion teilgenommen. Jahrelang hat sie ihre kranke Mutter gepflegt, und als diese starb, hatte sie bereits den Zeitpunkt verpasst, eine eigene Familie zu gründen. Zum Glück kann sie im Haus ihres Neffen mit dessen Familie leben, doch es belastete sie, die achtköpfige Familie nicht unterstützen zu können. Trotzdem hatten es die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der Frauenunion am Anfang nicht leicht, sie für eine Ausbildung zu begeistern. »Ich habe mich eigentlich viel zu alt gefühlt«, gibt sie zu. »Und ich hatte keine Ahnung, was mich in dem Ausbildungszentrum eigentlich erwartet. Aber dann habe ich zugestimmt, dass ich es wenigstens mal ein paar Tage probiere und dann wieder aufhöre, wenn ich es nicht schaffe.« Frau Tran blieb und wurde eine der besten Schülerinnen. Mit ihrer eigenen Nähmaschine näht sie jetzt auf Bestellung Schuluniformen und Uniformen für Kindergartenkinder in ihrem Stadtteil am Rande der Provinzhauptstadt von Nghe An.
Die Wirksamkeit des Projekts für die Armutsbekämpfung liegt in der Kombination von Ausbildung, Bewusstseinsbildung und finanzieller Starthilfe in Form von Kleinkrediten. Doch all dies hätte keinen Erfolg, wären da nicht die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen der Frauenunion, die mit viel Empathie in Frauen wie Tran Thi Ty den Glauben an sich selbst wecken.
Unsere Autorin ist SODI-Projektmanagerin Südostasien.
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