Religiös ohne Gott
Ingolf Bossenz über christlichen Glauben und das Religiöse an sich
Dass immer noch rund 32 Prozent der 6,9 Milliarden Menschen dem Christentum angehören, wie eine US-Studie verkündet, mag überraschen. Die Zahl will nicht recht passen zu angeblich um sich greifender Säkularisierung. Sicher: Nicht jeder, der die Kirche besucht, ist ein Christ. »Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht«, wie Albert Schweitzer treffend bemerkte. Dennoch ist inzwischen klar, dass alle Befürchtungen respektive Hoffnungen, Religion werde absterben, nichtig sind. Das Religiöse bleibt auch im 21. Jahrhundert ein »umfassender, ganzheitlicher, sinnsuchender und grenzüberschreitender Vitalimpuls des Menschen«, so der Religionswissenschaftler Hubertus Mynarek. Letzte Fragen, die der Antwort harren, wird es immer geben. Die christlichen Kirchen, um bei diesen zu bleiben, sind damit indes schon lange überfordert. Mittlerweile lehnen selbst große Teile der Mitglieder beider Hauptkonfessionen in Deutschland deren zentrale Glaubenspositionen ab. Gott als Person haben viele längst ad acta gelegt. Fehlt dieser, das zeigte Albert Einstein, ist das kein Widerspruch zur Religiosität, sondern lediglich zur jahrhundertelangen Deutungshoheit des Kirchenchristentums in dieser Frage. Ungeachtet der nach wie vor hohen Zahlen von Kirchenmitgliedschaften sind die päpstlichen Lamenti über wachsende Gottlosigkeit also durchaus verständlich.
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