Pleite ist nicht gleich Pleite
Insolvenz ohne Hoffnung - von Elmatechlern und Neckermännern
Der Schlussakkord klang gleich: »Mangels finanzieller Masse muss der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt werden.« Das Amtsgericht in Frankfurt am Main sprach fast zur gleichen Zeit das »Todesurteil« über ein bankrottes Unternehmen wie das Amtsgericht Bonn. Hier wie dort standen Anfang Oktober Menschen vor verschlossenen Firmentoren und trauerten ihren Arbeitsplätzen nach. Allerdings ging es im ersten Fall mit Neckermann um einen der führenden Versandhändler Europas mit rund 2000 Beschäftigten und im zweiten Fall mit der Morsbacher Elmatech AG »nur« um einen der vielen kleineren Automobilzulieferer.
Es sind zwei Fälle von wirtschaftlichem Untergang und enttäuschten Hoffnungen, die nur schwer zu vergleichen sind. Über lange Zeit hinweg wackelte das Versandhaus mit dem Flair der frühen 1960er Jahre. Dressurreiter Josef Neckermann ging bei diversen Bundeskanzlern ein und aus. Schon in den 1970ern konnte er dank öffentlicher Unterstützung eine Pleite verhindern. Rund 6000 Leute zählte damals die Firma. Zuletzt waren es rund 2000.
Mit der 80 Mitarbeiter zählenden Elmatech AG aus Morsbach unweit von Köln wurde dagegen eine Marktnischenfirma zu Grabe getragen, deren Zangen den Robotern an Autofließbändern zur Hand gehen - auf technologisch einzigartige Weise. Zur Unterstützung der roboterfreien Reparaturwerkstätten gibt es E-Zangen für die menschliche Hand. Doch das Patent dafür hat, wie es heißt, einer aus den eigenen Reihen samt seines persönlichen Know-hows an die Konkurrenz verscherbelt.
Egozentrische Kassenentnahmen, Rivalitäten unter den beiden Gründern, mangelhaftes Marketing und rascher Wandel in der Fertigungstechnologie sollen mit dafür gesorgt haben, dass den Elmatechlern die Aufträge wegbrachen. Als die Kassen leer waren, fuhr Geschäftsführer Marcus Klein zweimal zur Düsseldorfer Landesregierung. Beim ersten Mal wurde ihm eine Landesbürgschaft über fünf Millionen Euro in Aussicht gestellt - beim zweiten Besuch hatten Gesprächspartner und Hilfsbereitschaft gewechselt. Die Eigentumsverhältnisse bei Elmatech seien zu undurchsichtig, hieß es.
Die schwache Autokonjunktur besorgte den Rest. Auch anderen Zulieferern geht es schlecht. Dass viele Autokonzerne ihre Produktion drosseln und Arbeitsplätze abbauen wollen, wirft seine Schatten voraus. Zudem belasten der verschärfte Konkurrenzkampf und schwankende Aufträge.
Das Problem hatte Neckermann nicht. Seine Klientel waren kleine Leute, die Aufsteiger der älteren Mittelschicht und die Konsumnachholer der zwangsenthaltsamen Nachkriegszeit. Frauen griffen anfangs noch aus Solidarität mit dem stolz im Sattel sitzenden Josef Neckermann in die Fundgrube des Versandhändlers. Spätestens als das Internet die Karten in der Branche neu mischte, versäumten es die häufig wechselnden Eigner, mit dem schweren Schiff neuen Kurs zu halten.
Bei Elmatech warteten die Beschäftigten seit Anfang Juli auf ihr Gehalt. Sie stammen überwiegend aus derselben Gegend des Bergischen Landes - und dort gibt es kaum neue Jobs. »Wer älter als 45 ist, hat ohnehin keine Chance«, erklärte ein Experte der örtlichen Arbeitsagentur - das betrifft jeden zweiten Mitarbeiter. Klaglos und schweigend nahmen die Frauen und Männer die Ankündigung des Endes des einstigen Start-up-Unternehmens zur Kenntnis. Sie standen nie in Kontakt mit einer Gewerkschaft, die ihren Kampfgeist vielleicht etwas angestachelt hätte. Auch einen Betriebsrat gab es nicht. Forderungen stellen und dafür kämpfen - das ist nicht üblich in der katholisch geprägten Region.
Beim hessischen Großversender schlugen dagegen die Wogen hoch. So kritisierte die Gewerkschaft ver.di heftig den letzten Eigner, den US-Investor Sun Capital: »Was diesem keine kurzfristige Rendite bringt, wird abgestoßen ohne Rücksicht auf die Beschäftigten.« Ver.di hatte lange über den Abbau von 1500 der 2000 Arbeitsplätze verhandelt. An der Frage der Abfindungen scheiterten schließlich die Gespräche. Die Fusionspartner Quelle und Karstadt, vor Jahren bereits Pleite gegangen, hatten Neckermann noch eine Weile über Wasser zu halten versucht - vergebens.
Pleite ist nicht gleich Pleite: Während vom Neckermann-Sturz alle Welt berichtete, nahm vom Fall der Firma Elmatech nur das Lokalblatt in einer längeren Meldung Notiz. Auch an der Hilfsbereitschaft lässt sich die Prioritätensetzung erkennen: Die Arbeitsagentur hatte in der Hanauer Landstraße ein Sonderkommando für die gekündigten Neckermänner im Einsatz. Bei Elmatech half die örtliche Behörde gerade mal einen Nachmittag lang beim Ausfüllen der Anträge für das Insolvenzgeld. Die Behörde übernahm drei Monate lang die ausgefallenen Löhne und versuchte, das Geld beim Konkursverwalter zurückzuholen - dessen Kassen sind aber leer.
Generell kommt mangels Masse eine geordnete Insolvenz immer seltener zustande. Wenn der Konkursverwalter sein eigenes Honorar in Gefahr sieht, ist es für ihn höchste Zeit, die Aktenordner zu schließen. Bei Neckermann traf die Pleite vor allem Frauen, darunter viele Migrantinnen, die unterbezahlt an den Packtischen standen. Sie haben kaum Chancen auf einen neuen Job. Ähnlich ergeht es den Leuten von Elmatech. Auf diese Parallele hätten die Beschäftigten beider Unternehmen vermutlich gern verzichtet.
Große Firmeninsolvenzen 2012
Wegen der Pleite des einstigen Drogeriemarkt-Riesen Schlecker verloren 23 400 Mitarbeiter bundesweit ihren Job. Schlecker hatte im Januar Insolvenz angemeldet. Managementfehler, Konkurrenz und angekratztes Image machten dem Ex-Marktführer den Garaus. Ende Juni war Schluss.
Der Solarkonzern Q-Cells in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) beantragte im April ein Insolvenzverfahren. Die Konkurrenz aus China und der Preisverfall führten zu hohen Verlusten. Von ehemals gut 2200 Mitarbeitern will der südkoreanische Konzern Hanwha, der Q-Cells im Oktober übernahm, rund 1300 weiter beschäftigen.
Weitere Opfer der Krise der Solarbranche waren First Solar in Frankfurt (Oder), Centrotherm Photovoltaics (Blaubeuren), Sovello (Sachsen-Anhalt), Solarhybrid (Brilon), Solar Millennium (Erlangen), Solon Global und Solar Energy Deutschland (beide Berlin), Solarwatt und Sunstrom (Dresden).
Die P+S-Werften stellten im August Insolvenzantrag für die Schiffbaubetriebe in Stralsund und Wolgast. Knapp 2000 Beschäftigte bangen um ihre Jobs. Die kleinere Werft in Wolgast wird von der Bremer Lürssen-Werft übernommen, für Stralsund gibt es keine verbindlichen Kaufangebote.
Die SIAG Nordseewerke (Emden) meldete im Oktober Insolvenz an; der Zulieferer ist Opfer der stockenden Netzanbindung von Offshore-Windparks. Rund 700 Mitarbeiter stehen vor einer ungewissen Zukunft. Es gibt Kaufinteressenten.
Ebenfalls im Oktober ging der Möbelhersteller Interlübke in Rheda-Wiedenbrück (Nordrhein-Westfalen) in Insolvenz. Die Firma mit gut 270 Mitarbeitern schreibt seit 2009 rote Zahlen. Der Betrieb läuft weiter, der Abbau von bis zu 40 Stellen ist angekündigt. dpa/nd
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