»Man muss Glück auch bemerken«
Ein Glücksforscher über die Bedeutung von Geld, warum Optimisten zufriedener sind und Wünsche zum neuen Jahr
nd: Die Silvesternacht ist die Hochzeit der Hufeisen, Schweine und Kleeblätter. Was haben die eigentlich mit Glück zu tun?
Ruckriegel: Das kann ich leider auch nicht sagen. Das sind ja alles eher Symbole für Zufallsglück. Damit beschäftigt sich die Glücksforschung nicht.
Sondern eher die Mathematiker?
Wir jedenfalls nicht. Im Deutschen ist der Begriff Glück sehr schillernd. In anderen Sprachen gibt es mehr Differenzierungen, etwa »lucky« und »happy«. Die Glücksforschung beschäftigt sich mit dem anderen Teil der Wortbedeutung im Deutschen, dem subjektiven Wohlbefinden, also nicht mit luck, sondern mit happiness.
Wie lässt sich das messen?
Wir arbeiten mit Daten des sozioökonomischen Panels. Dafür wird die Zufriedenheit der Bürger in Bezug auf Arbeit, Wohnen oder auch Familie erfragt und objektive Daten wie Einkommen oder Beschäftigung erhoben.
Gibt es viele vollkommen glückliche Menschen in Deutschland?
Ich bin gar nicht so weit davon entfernt.
Sind Sie die glückliche Ausnahme?
Vor allem gibt es gravierende Unterschiede: Auf einer Skala von 0 - depressiv - bis 10 - vollkommen glücklich - ist die Zufriedenheit in den unteren Einkommensschichten im Durchschnitt bei 5,6 und in den oberen 20 Prozent bei 7,6.
Geld macht also doch glücklich.
Nein, das ist es nicht. Im Gegenteil. In allen Gesellschaften können wir beobachten: Wenn ein bestimmtes Mindesteinkommen erreicht ist, also die größten materiellen Probleme beseitigt sind, dann steigern Einkommenszuwächse die Zufriedenheit kaum mehr. Dieses Niveau war in den westlichen Industrieländern bereits in den 1960er Jahren erreicht. Menschen gewöhnen sich nämlich ziemlich schnell an die Erhöhung und passen die Ansprüche nach oben an. Das Mehr ist dann genau dasselbe wie das Weniger vorher.
Wie erklären Sie dann die große Differenz?
Zufriedenheit hat weniger mit dem absoluten als mit dem relativen Einkommen zu tun, mit der Stellung in der Gesellschaft. Wer zu den oberen 20 Prozent gehört, fühlt sich wertgeschätzt, hat auch mehr persönliche Freiräume. In den unteren Einkommensschichten kann man dagegen kaum Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung nehmen. Man hat den Eindruck, was ich auch mache, ich komme nicht vom Fleck. Wir müssen wieder zurückkommen zu einer gleicheren Gesellschaft mit mehr Chancengleichheit. Das ist eine Frage der Fairness und Menschlichkeit. Und das sage ich als Ökonom, der aus dem eher konservativen Kreis kommt.
Gleichheit macht glücklicher?
Schauen Sie sich die skandinavischen Länder an. Dort ist die Zufriedenheit deutlich größer. Die Einkommensunterschiede sind nicht so groß. Es kommt nicht so auf den Status an. Man wird mehr oder minder als gleich angesehen. Und die Menschen sind dort anders: Wenn man sich in Dänemark mit jemandem unterhält, dann ist da ein Lächeln, eine Freundlichkeit. In Deutschland schauen wir viel zu viel auf den Nachbarn, und was der »schon wieder« für ein neues Auto hat. Wir sollten soziale Vergleiche nicht so hoch hängen.
Das klingt nach dem Rat des Reichen an den Armen: Sei doch nicht neidisch auf mich, schau, der Schmetterling, der ist doch auch schön.
Wie gesagt, die Verteilungsungerechtigkeit und die Chancenungleichheit müssen verringert werden. Ich bin zum Beispiel für einen Mindestlohn. Ein gewisses Maß an Materiellem ist wichtig, damit man an unserer Gesellschaft aktiv teilhaben kann. Aber wir sollten auch andere Dinge im Auge haben, die unser Glück ausmachen.
Das wäre?
Die UNO hat im letzten Jahr Glück als Millenniumsziel aufgenommen. Nach den Vorschlägen der OECD sollte man wegkommen von der Fixierung auf das Wirtschaftswachstum. Viel wichtiger für die Zufriedenheit sind demnach Bildung, Gesundheit, Kommunikation, gute Arbeit. Und natürlich gehören dazu auch zwischenmenschliche Beziehungen. Die Politik kann aber nur die Voraussetzungen verbessern, sie kann die Menschen nicht glücklich machen.
Jeder ist auch selbst verantwortlich für sein Glück?
Glück ist letztlich etwas Subjektives. Es geht darum, wie man sich fühlt. Da kann sich noch so viel objektiv ändern, wenn Sie es nicht wahrnehmen, nützt es nichts.
Wie wird man also glücklicher?
Man muss sich selber Ziele setzen und diese Ziele nicht ständig im Lichte von anderen entwerten. Wir vergleichen uns ja nicht nach unten, sondern ständig nach oben. Und man wird immer jemanden finden, der noch mehr erreicht hat. Es geht also um persönliches Wachstum, das man sich selber erarbeitet. Ich habe mich zum Beispiel in den letzten Jahren intensiv mit Malerei beschäftigt und mein Englisch ausgebaut. Was ihnen wenig hilft, ist besonders populär oder schön oder reich werden zu wollen. Das ist ziemlich hohl am Ende des Tages. Seine persönlichen Beziehungen hat man ebenfalls in der Hand. Man kann auch jeden Abend aufschreiben, was alles Positives passiert ist. Wenn Sie das ein Vierteljahr machen, ändert sich Ihre Denkweise. Sie denken dann ausgewogener und konzentrieren sich nicht nur auf die negativen Dinge, die es natürlich immer gibt. Schließlich ist Optimismus wichtig. Das heißt, ein gewisses Zutrauen zu sich zu haben. Dann haben Sie auch mehr Erfolgserlebnisse. Pessimistische Menschen sagen immer, das wird sowieso nichts.
Aber sie können so nicht enttäuscht, sondern nur positiv überrascht werden. Auch eine Glücksstrategie.
Der Punkt ist, dass Pessimisten gar nichts versuchen, weil sie meinen, das hat sowieso keinen Sinn. Sie nehmen sich deshalb kaum etwas vor oder hören sofort auf, wenn der kleinste Gegenwind kommt. Und dann haben Sie auch keine Erfolgserlebnisse. Überoptimismus ist natürlich auch nicht gut. Der ist bei Managern häufig: Nach dem Motto »Mir gelingt alles«, was sich oft als teure Illusion herausstellt.
Als Sie 2005 zur Glücksforschung gefunden haben, galten Sie da eigentlich als Spinner in Ihrer Zunft?
Nein, nein. Als ich dazu kam, wurde das nicht mehr belächelt, aber es war ein Exotenthema. Glücksforschung hat es innerhalb der Volkswirtschaftslehre schon einmal vor 200 Jahren gegeben. Dann ist sie verdrängt worden, kam aber seit den 1970ern durch die Soziologie und Psychologie wieder. Ökonomen haben lange gesagt, das braucht man nicht, das Zeugs da, das subjektive. Sie haben früher Glück immer mit dem Materiellen gleichgesetzt. Seit den 2000er Jahren setzt sich der Ansatz aber auch in der Ökonomie zunehmend durch. Die Glücksforschung hat enorme Konsequenzen für den Managementbereich.
Inwiefern?
Glückliche Mitarbeiter engagieren sich ganz anders im Unternehmen, sind kreativer, loyaler, weniger krank. Der Mensch muss auch am Arbeitsplatz im Mittelpunkt stehen. Das ist eine Win-Win-Situation.
In der Praxis ist das dann die kostenlose Pizza bei Überstunden ab 20 Uhr.
Das ist natürlich nicht gemeint. Es geht nicht um bessere Ausbeutung, sondern um »Work life balance«. Zufriedene Mitarbeiter kriegt man nicht mit einer Pizza. Es nützt ja nichts, wenn die Angestellten keine Zeit für ihr Privatleben haben. Unternehmen werden umdenken, sie zwingt schon die demografische Entwicklung zu einer anderen Arbeitsplatzgestaltung. Bei abnehmender Zahl verfügbarer Arbeitskräfte müssen Unternehmen ihre Stellen attraktiver machen. Denn die Arbeitnehmer können sich aussuchen, wo sie hingehen. Wieso sollten sie zu einem Unternehmen gehen, über das im Internet steht, das macht alles, bloß nicht zufrieden? Die Arbeitnehmer werden in Zukunft eine ganz andere Position haben.
Viele Menschen wünschen sich zum Neuen Jahr Geld, Gesundheit und Glück. Was wünscht man sich in einer Glücksforscher-Familie?
Ein gedeihliches und liebevolles Zusammenleben. Sonst eigentlich nichts.
Sie sind wunschlos glücklich?
Sagen wir es mal so: Beruflich läuft alles toll, in der Familie auch. Ich wünsche mir, dass es so bleibt. Und für die Gesellschaft, dass wir uns stärker mit den richtigen Fragen beschäftigen.
Karlheinz Ruckriegel, 55, ist Professor für Makroökonomie, psychologische Ökonomie und interdisziplinäre Glücksforschung an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg.
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