Die geschundene Fortuna
Wie Wettbetrug Spiel und Sport zerstört
Je schlechter die Zeiten, desto mehr setzen die Menschen auf Fortuna. Das wusste schon der vor 300 Jahren geborene Friedrich, Prinz von Preußen. Als preußischer König rief er während des Siebenjährigen Krieges eine staatliche Lotterie nach Genueser Vorbild ins Leben, um den Krieg und später den Nachkrieg zu finanzieren und etwas Bewegung ins starre gesellschaftliche System seines Landes zu bringen. Ihm wird die Äußerung »Jeder ist vor dem Glücke gleich« zugeschrieben. »Glück kann wie ein Schlag treffen. Es ist wählerisch und völlig blind. Deshalb kann jeder hoffen, durch die Teilnahme am Glücksspiel glücklich zu werden. Hier gelten weder Rechte noch Pflichten. Und die Ungleichheit, die in der menschlichen Geschichte ihre eigensinnige Rolle spielt, fällt beim Glücksspiel in nichts zusammen«, philosophierte der Monarch.
Ante Sapina, Glücksspiel-Patron, der nur wenige Kilometer vom Bauloch der geplanten Kulisse von Friedrichs einstigem Geburtsschloss residiert, dürfte bei solchen Aussprüchen in helles Gelächter ausbrechen. Sapina wurde dafür berühmt, gleicher als alle anderen gewesen zu sein. Zunächst vielleicht nur, weil er die Differenzen zwischen Quoten unterschiedlicher Wettanbieter am schnellsten herausfand und gewinnbringend für sich einsetzte. Später, weil er dank der Kundschaft von Hertha-Profis und Schiedsrichter Robert Hoyzer privilegierte Informationen besaß. Und schließlich, weil er Schiedsrichter Hoyzer und einigen Spielern Geld gab, damit sie für bestimmte Resultate auf dem Platz sorgten und in einer Art informellen Internationale der Wettbetrüger außerdem wusste, wem noch Geld gegeben wurde, um weitere »sichere Gewinne« zu erzielen.
Das Bochumer Landgericht hat Sapina dafür zuletzt zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Unklar ist nur noch, ob ihm wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Betrugs noch etwas mehr Haftzeit draufgeschlagen oder etwas von der Strafe wegen seiner Aussagebereitschaft abgezogen wird.
Sapinas Fall macht darauf aufmerksam, dass vor der Glücksgöttin Fortuna nicht mehr alle gleich sind, wie es noch Friedrich behauptete. Ob der in der realen Wirklichkeit seiner Lotterie selbst an seine kategorische Aussage glaubte, darf man ebenfalls bezweifeln. Der Schöpfer von Preußens Lotterie, der italienische Abenteurer Giovanni Antonio di Calzabigi soll mit einem Empfehlungsschreiben folgenden Inhalts nach Berlin gekommen sein: Er sei »ein Italiener mit hervorragender Geschäftstüchtigkeit und einem ausgesprochenem Hang zur Unredlichkeit und Untreue«.
Man kann streiten, ob Lotto nur mit der Illusion, es werde fair gespielt, das Gros der Tippscheingeber mobilisiert, oder ob nicht eher der Glaube daran, über eine privilegierte und den Gewinn wahrscheinlicher machende Information zu verfügen, den Auslöser darstellt. Im ersten Fall müssten Wettanbieter selbst Sorge tragen, dass die Sapinas und ihre korrumpierten Marionetten nicht zum Zuge kommen. Im zweiten Fall müssten sie sie nicht verfolgen, sondern sie allenfalls vom Setzen zu hoher Beiträge abhalten und deren Aktivitäten ansonsten in eine Art Frühwarnsystem integrieren. Weil genau dies geschieht, bleibt strukturell von Fairness und Gleichheit beim Wettspiel nicht mehr viel übrig.
Noch schlimmer sieht es mit dem Sport selbst aus. »Wettbetrug bedroht die innersten Werte des Sports selbst«, hat ganz richtig der frühere FIFA-Chefermittler Chris Eaton festgestellt. Wenn nicht mehr der Beste gewinnt, ja nicht einmal der am besten mit pharmazeutischen Präparaten operierende Athlet, sondern vor allem der zum Sieg gesteuert wird, der auf Märkten, die nur einen Mausklick, aber oft zehntausende Realkilometer entfernt sind, die besten Quoten erzielt, dann ist tatsächlich der Sport am Ende. Dann sind Medaillen nur noch für den Buntmetallhändler interessant. Dann sind Wahlen zum Sportler des Jahres bar jeder Ehre. Dann läuft selbst der Amateursport, dessen Resultate Material für die internationalen Wettagenturen sind, Gefahr, vom Betrug kontaminiert zu sein.
Björn-Ole Fausa, der Präsident eines norwegischen Fußball-Drittligisten, bei dem drei Spieler bestochen wurden, schlägt wegen der potenziellen Betrugsgefahr vor, Spiele unterhalb des Profiniveaus aus allen Wettsystemen herauszunehmen. »Diese Spiele kann man gar nicht kontrollieren. Es gibt kein Fernsehen, kaum Journalisten, manches Mal, abgesehen von den Eltern der Spieler, nicht einmal Zuschauer. Wenn dir dann jemand 13 000 Euro anbietet, und du aus armen Verhältnissen kommst und mit dem Klub, für den du spielst, nicht verbunden bist, weil du nicht aus der Gegend stammst, dann ist die Versuchung groß«, lautete seine Beobachtung.
Großen Nachhall hat diese Forderung bislang nicht gefunden. Sportfunktionäre beschäftigen sich mit Wettbetrug und Spielmanipulation nur, wenn sie ein neuerlicher Skandal dazu treibt. Das reicht nicht aus. Ein guter Vorsatz für 2013 wäre, Fortuna aus dem Betrügergeschirr herauszunehmen, so dass auch Herkules, Gott der Athletik, befreit wirken und Nike, Göttin des Sieges, fleckenlos strahlen kann.
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