Es gab nichts zu feiern

  • Christoph Butterwegge
  • Lesedauer: 3 Min.
Christoph Butterwegge ist Professor für Politik an der Uni Köln.
Christoph Butterwegge ist Professor für Politik an der Uni Köln.

Am 1. Januar sind die ersten beiden Hartz-Gesetze zehn Jahre alt geworden. Ihnen sollten zwei weitere folgen, die sich damals noch im parlamentarischen Entscheidungsprozess befanden und 2004 beziehungsweise 2005 in Kraft traten. Zusammen bildeten die nach Peter Hartz benannten Gesetze »für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« den wohl gravierendsten Eingriff in das deutsche System der sozialen Sicherheit seit 1945.

Die rot-grüne Arbeitsmarktreform führte zu einer Rutsche in die Armut: Nach der auf üblicherweise zwölf Monate verkürzten Bezugszeit des Arbeitslosengeldes bekommen Erwerbslose seither nicht mehr Arbeitslosenhilfe, sondern Arbeitslosengeld II, das treffender »Sozialhilfe II« heißen würde, weil es auch Erwerbstätige im Niedriglohnbereich erhalten und weil es das Niveau der Fürsorge nicht überschreitet. Nunmehr waren viele Menschen bloß noch eine schwere Krankheit oder eine Kündigung von der Armut entfernt. Neu war, dass auch früher mittels einer Lohnersatzleistung vor dem sozialen Absturz halbwegs Geschützte zum Kreis der Betroffenen gehörten.

Traf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe besonders Ältere, die sie vorher bis zur Rente bezogen hätten, sind Familien, Kinder und Jugendliche die Hauptleidtragenden der relativ niedrigen Pauschalierung früher zusätzlich gewährter und nunmehr im Regelsatz aufgegangener Beihilfen. Sie leiden unter dem dadurch schlecht kompensierten Wegfall sogenannter wiederkehrender einmaliger Leistungen, etwa zur Beschaffung von Winterkleidung, zur Reparatur einer Waschmaschine oder zum Kauf von Schulbüchern.

Da die Forderungen der liberal-konservativen Bundesratsmehrheit weit über den von der Hartz-Kommission abgesteckten Rahmen einer Deregulierung des Arbeitsmarktes hinausgingen, SPD und Bündnisgrüne aber einen Konsens mit ihr anstrebten, wurde das Reformprojekt auch in seinen gar nicht zustimmungspflichtigen Teilen im Laufe eines langwierigen Vermittlungsverfahrens radikalisiert. Dies betraf die Ausweitung des möglichen Einsatzbereichs und die »Entbürokratisierung« der sogenannten Mini und Midijobs ebenso wie die Sanktionen (Kürzung und Streichung von Transferleistungen) und die Möglichkeit, Zeitarbeitnehmer schlechter zu entlohnen als die Stammbelegschaften der entleihenden Firmen.

Das stark an »Zuckerbrot und Peitsche« erinnernde Doppelmotto »Fördern und fordern«, unter dem Hartz IV steht, wurde praktisch nur in seinem letzten Teil eingelöst: Nie war der auf Langzeitarbeitslose und Geringverdiener ausgeübte Zwang größer, die Bereitschaft des Staates, Geld für deren berufliche Qualifikation, Fortbildung und Umschulung auszugeben, allerdings geringer ausgeprägt.

Die Hartz-Reform trug Züge einer sozialpolitischen Zeitenwende. Vor allem durch Hartz IV wurde das soziale Klima der Bundesrepublik vergiftet und ihre politische Kultur erheblich belastet. Heute wird das mit dem Namen von Peter Hartz verbundene Konzept den Ländern im Euroraum, die am schwersten von der Banken-, Schulden- und Währungskrise betroffen sind, als wirtschafts-, arbeitsmarkt- und finanzpolitisches Patentrezept empfohlen oder per »Fiskalpakt« oktroyiert. Ebenso wie die Absenkung des Rentenniveaus à la Riester (Teilprivatisierung der Altersvorsorge), Rürup (Einführung des »Nachhaltigkeitsfaktors«) und Müntefering (Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Erhöhung des Renteneintrittsalters) ist das Lohndumping à la Hartz zum Exportschlager der Regierung Merkel geworden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.