Eine Stadt faltet die Hände

Hoffen und Beten: Wie Stralsund um seine Werft kämpft

  • Velten Schäfer, Stralsund
  • Lesedauer: 6 Min.
Während die Wolgaster Peenewerft im Mai aus der Insolvenzmasse der P+S-Gruppe verkauft werden wird, ist die Zukunft der Stralsunder Volkswerft noch offen. In Schwerin nimmt nun ein Untersuchungsausschuss die Arbeit auf, der die Rolle der Landesregierung bei der im Sommer angemeldeten Pleite hinterfragt.

Auf dem Alten Markt in Stralsund, unmittelbar vor der berühmten Rathausfassade aus dem 13. Jahrhundert, steht noch immer der Weihnachtsbaum. In den Ästen hängen Geschenkpakete in bunter Folie. Vor dem Baum flackern Lichtlein auf dem feuchten Pflaster oder in den Händen der 200 bis 300 Bürger, die sich am Sonntag nach Einbruch der Dunkelheit eingefunden haben. Im Anschluss an ein ökumenisches Friedensgebet in der Marienkirche sind sie quer durch die Altstadt gezogen. »Herr, gib uns Deinen Frieden«, intoniert der Pastor, murmelnd summt die Gemeinde mit. Die Leute stellen ihre Kerzen auf den Boden. Im Hintergrund bimmelt eine kleine Glocke. Nach einer guten Viertelstunde verlieren sich die Menschen in der Dunkelheit.

Touristen hätten vermutlich gar nicht verstanden, was der Aufzug sollte - kein Spruchband, keine Plakate, keine Forderungen, nur Kerzen und Gebete. Den Ortsansässigen aber ist ohnehin klar, worum es geht: um die Zukunft der Werft, des wichtigsten Arbeitgebers der Stadt, der seit dem Sommer in der Schwebe hängt. Während die Bundespolitiker sich im Wahljahr für Beschäftigungsrekorde auf die Schulter klopfen, herrscht in Stralsund seit dem Insolvenzantrag der Stralsunder und Wolgaster P+S-Werften der Geist der Krise: das bedrückende Hin und Her zwischen Hoffen und Bangen.

Lange war dabei das Letztere bestimmend: Bereits im Sommer, als die Hängepartie ihren Anfang nahm, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die vor Ort für den Bundestag kandidiert, den »Rahmen« für Berliner Hilfsaktionen für »ausgeschöpft« erklärt. Dann mussten die Stralsunder zusehen, wie sich für die Schwesterwerft in Wolgast die Lage nach der Pleite zum Guten wendete und sich mit der Bremer Lürssen-Gruppe ein Investor fand, der ab Mai mit zunächst 285 festen Stellen zumindest einen großen Teil der Wolgaster Arbeitsplätze garantiert, alle 65 Auszubildenden übernimmt und ähnliche Schwerpunkte hat wie die auf Yacht- und Marineschiffe spezialisierte Peenewerft.

Für die größere Werft im größeren Stralsund sah es dagegen immer düsterer aus. In den Zeitungen mussten die Beschäftigten der weitgehend stillgelegten früheren Volkswerft lesen, dass ihre Werft schlecht geführt worden sei und keine Zukunft habe, über mögliche Investoren war dagegen nichts zu hören. Zum neuen Jahr gibt es immerhin einen Hoffnungsschimmer: Zwei sogenannte RoRo-Frachter für die dänische Reederei DFDS können weitergebaut werden, nachdem das Land einen zum Weiterbau benötigten Kredit über 43,5 Millionen Euro garantiert hat. Mit etwa 300 Beschäftigten wird die Arbeit daran in diesen Tagen wieder aufgenommen. Durch das vorläufige Ende des Stillstands stiegen die Chancen bei der Investorensuche, sagen die Experten. Derzeit heißt es in Schwerin, es gebe wohl Interessenten, aber nichts Konkretes.

Helfen also die Gebete? Wenn sich in nächster Zeit niemand findet, schließen die Tore der Werft für immer. Was ein Wegfallen von etwa 1200 qualifizierten industriellen Arbeitsplätzen bedeuten würde, muss im rund 55 000 Köpfe zählenden Stralsund niemandem erklärt werden. Aus den Gesichtern der Betenden auf dem Alten Markt spricht die Sorge, obwohl die Wenigsten so aussehen, als würden sie selbst auf der Werft arbeiten. Dass in Stralsund, anders als auf der einstigen Schwesterwerft in Wolgast, selbst mit einem neuen Investor ein guter Teil der Arbeitsplätze verloren gehen wird, ist wohl ausgemacht. Das fürchtet auch die örtliche IG Metall um den Bevollmächtigten Guido Fröschke.

Neben der weltwirtschaftlichen Situation führten zumindest im Fall der Stralsunder Werft wohl auch Managementfehler in die Insolvenz. Das Unternehmen brach paradoxerweise zusammen, obwohl die Auftragsbücher voll waren. Es seien zu schnell zu viele ambitionierte Aufträge angenommen worden, die zudem viel zu knapp kalkuliert worden seien, nicht den nötigen Profit abwarfen - die Werft, die sich zugleich auf neue Bereiche wie die Offshore-Industrie einstellen wollte und sollte, habe sich übernommen und überfordert. So etwa lautet die Kritik, die es nicht nur bei den lokalen Gewerkschaftern gibt.

Doch nicht nur in Stralsund und Wolgast, sondern auch andernorts sind Werften in der Krise, etwa die SIAG Nordseewerke in Emden oder die Sietas-Werft in Hamburg. Beschäftigte aus diesen Werften, aber auch aus Stralsund und Wolgast erwartet die IG Metall heute um zehn Uhr am Theodor-Heuss-Platz in Hannover zu einer Kundgebung anlässlich der »Offshore-Konferenz« des Bundeswirtschaftsministeriums.

Mit der Kundgebung will die Gewerkschaft unterstreichen, dass sie durchaus auch Berlin für die aktuellen Schwierigkeiten der im Umbruch befindlichen Schiffbau-Branche verantwortlich macht: »Das Planungschaos der Bundesregierung verzögert Investitionen der beteiligten Firmen in Milliardenhöhe und gefährdet mehrere tausend Arbeitsplätze«, erklärt Meinhard Geiken, der IG-Metall-Chef im Bezirk Küste.

Die Aktion in Hannover mag auch mit dem Niedersachsen-Wahlkampf zu tun haben, zumal Ministerpräsident David McAllister (CDU) dort auftreten wird. Aber auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es laute Kritik an der Rolle der Landespolitik in dieser jüngsten Werftenkrise. Details der ab 2009 unter der Prämisse eines Abschieds vom Containerschiffbau erfolgten »Restrukturierung« der unter dem Dach von P+S vereinten Werften werden nun sogar im Schweriner Landtag zum Thema. Nächste Woche trifft sich dort erstmals der von LINKE und Grünen durchgesetzte Untersuchungsausschuss zur Werftenpolitik der Landesregierung.

Die Opposition wirft Rot-Schwarz vor, bei den Werften den Überblick verloren und womöglich Warnsignale übersehen zu haben, obwohl Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) die Probleme im Schiffbau mehrfach zur Chefsache erklärt hatte. »Die maritime Wirtschaft bildet für die Landesregierung keinen eigenen Schwerpunkt mehr, sie wird heute unter Maschinenbau abgehandelt«, kritisiert Linksfraktionschef Helmut Holter.

Der Untersuchungsausschuss steht noch am Anfang. 160 bis 180 Aktenordner aus dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium werden wohl zu sichten sein, die Landesregierung hat bei der Beantwortung einer Frageliste der Parlamentarier bereits um Aufschub gebeten. Jeannine Rösler (LINKE), die Obfrau des Ausschusses, klagt zudem über den Zustand der vorliegenden Unterlagen besonders aus dem Wirtschaftsministerium von Harry Glawe (CDU): Die von dort bereits vorliegenden 80 Aktenordner seien chaotisch geführt worden, es fehle etwa eine chronologische Ordnung. So werde das Bearbeiten der Unterlagen »sicher nicht erleichtert«, moniert Rösler. Die Unterlagen aus dem Finanzministerium von Heike Polzin (SPD) seien in einem besseren Zustand.

Die Stralsunder werden die Arbeit dieses Ausschusses mit Sorgfalt verfolgen. Dort hat sich die Sorge um die Werft fest in der Mitte der Stadtgesellschaft festgesetzt. Vielleicht ist es bezeichnend, dass sich gerade die Kirchen als Plattform der Sorgen etabliert haben: Vor Ort bleibt derzeit nur das Hoffen, und es hilft offenbar bereits, wenn dies einen Ausdruck findet.

Also faltet die Stadt die Hände. Als die evangelischen Gemeinden im Herbst ein erstes »Friedensgebet« für die Werft abhielten, seien 60 Menschen erschienen, so die Stralsunder Pröpstin Helga Ruch. Beim dritten Mal waren es etwa 600, so viele kommen sonst beileibe nicht zu einem Gottesdienst. Auch wenn die Betenden vom Sonntag ihrem Ziel »einer Million Lichter« noch weit entfernt waren, spricht nichts dafür, dass sie beim nächsten Mal nicht wiederkommen.

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