Krasse Diskrepanz bei Niedriglöhnern
Ein Teil der ASEAN-Staaten hat zum Jahresbeginn neue Mindestlöhne eingeführt
Die Einkommensunterschiede sind nicht nur zwischen den einzelnen Staaten der südostasiatischen ASEAN-Gemeinschaft, sondern auch im regionalen Vergleich gewaltig. Während mit dem Abbau von Handelsschranken ein gemeinsamer Binnenmarkt des Verbundes entsteht, ist gerade bei den untersten Lohngruppen die Diskrepanz besonders groß. So werden auf den Philippinen sowie mit den gesetzlichen Neuregelungen in Malaysia und Thailand umgerechnet etwa zehn US-Dollar am Tag gezahlt, Länder wie Indonesien oder Vietnam liegen nicht einmal bei der Hälfte. Regelrechte Hungerlöhne (auch wenn unterschiedliche Lebenshaltungskosten in der Statistik keine Beachtung finden) werden wiederum in den Armenhäusern der Region gezahlt. Auf kaum über zwei Dollar kommen Minimalverdiener in Kambodscha, in Myanmar sind es sogar nur knapp 60 Cent am Tag.
Vor allem um auf steigende Preise für Nahrungsmittel, Energie und andere lebensnotwendige Ausgaben zu reagieren, haben die drei Regierungen zum Jahreswechsel die neuen Mindestlöhne so festgelegt. Zudem sollten auch die bisher am schlechtesten bezahlten Arbeiter ein wenig an den Unternehmensgewinnen der zurückliegenden Jahren beteiligt werden. Trotz der Verwerfungen in der Asienkrise 1997 und der Probleme rund um die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise ein gutes Jahrzehnt später können die Länder auf ein zumeist sehr ordentliches Wachstum verweisen, das aber eher wenigen zugute kommt.
Vietnams Regierung ist bemüht, den geltenden Mindestlohn an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen. Malaysia hat nun erstmals 900 Ringgit pro Monat (umgerechnet etwa 9,80 Dollar am Tag) für den Festlandsteil sowie 800 Ringgit für die ländlichen Teilstaaten Sabah und Sarawak im Norden Borneos festgeschrieben. Zwar gilt die Festlegung einer gesetzlich fixierten Lohnuntergrenze grundsätzlich als Fortschritt. Das Oppositionsbündnis Pakatan Rakyat hatte aber scharf kritisiert, dass eigentlich 1100 Ringgit sinnvoll seien. Der nun geltende Satz schließe bestimmte Zuschläge bereits mit ein, weshalb der normale Arbeiter kaum mehr als 700 Ringgit auf die Hand bekomme - so viel wie heute zumeist schon. Dagegen kritisierte der Unternehmerdachverband die Neuregelung als überzogen.
Auch im benachbarten Thailand laufen Wirtschaftsverbände zwar nicht Sturm gegen den nun landesweit auf einheitlich 300 Baht (9,45 Dollar) angehobenen Mindestlohn; sie wollen von der Regierung aber möglichst große Beihilfen erpressen. Die Föderation der Thailändischen Industrie würde es gern sehen, wenn die Regierung den Firmen im ersten Jahr 75, im zweiten 50 und im dritten noch 25 Prozent der zusätzlichen Kosten zuschießen würde. Dazu wird es aber mit geschätzten 50 Milliarden Baht (1,25 Milliarden Euro), die ein solcher Schritt den Staatshaushalt kosten würde, nicht kommen. Zumindest wollen die zuständigen Ministerialvertreter bei Beratungen nächste Woche noch einmal ausloten, was an weiteren Hilfen vorstellbar ist. Die Körperschaftsteuer ist bereits um zehn Prozent gesenkt worden, um die Firmen zu entlasten - gerade kleine Betriebe können dabei aber wegen ihrer geringen Gewinne kaum Einsparungen erzielen.
Sie sind es aber, die das Gesetz am stärksten trifft. Befürchtet wird deshalb in Bangkok, im Laufe des Jahres könnten rund eine Million Arbeitsplätze durch Entlassungen oder Betriebsschließungen verloren gehen. Einen Vorgeschmack liefert das, was gerade in Saraburi 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt läuft. Dort protestieren 200 Arbeiter einer Fabrik, die Unterwäsche produziert, gegen einen überraschenden Schließungsbeschluss. Auch aus anderen Gegenden sind Entlassungen bekannt geworden.
Gegen Firmen, die mit ihren Belegschaften eine spätere Zahlung der Mindestlöhne vereinbaren, will das Arbeitsministerium vorgehen. Wer sich nicht an das neue Gesetz halte, müsse mit empfindlichen Geld- und Haftstrafen rechnen. Die Kontrollen sollen angeblich sehr effektiv gestaltet werden. Auch wenn mancher nun um seinen Job fürchtet: Gerade in einigen ländlichen Provinzen bedeutet der neue Mindestlohn beinahe eine Verdopplung der untersten Löhne.
Lexikon
Die 1967 gegründete Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) zählt mittlerweile zehn Mitgliedstaaten mit zusammen rund 590 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 1,5 Billionen US-Dollar: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Ziel der ASEAN ist, die wirtschaftliche, soziale und politische Zusammenarbeit in der Region zu verbessern. 2009 beschloss ein Gipfel die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes nach EU-Vorbild. Teil dieser Strategie ist eine Freihandelszone. Hauptproblem für die Integration ist die Verschiedenheit der Mitgliedsstaaten in Wirtschaft, Kultur, Regierungsform und Außenpolitik. nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.