Gezielte Sabotage?

Martina Renner sitzt für die LINKE im NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Sie haben am Dienstag eine Zwischenbilanz der Aufarbeitung des NSU-Terrors gezogen. Wo stehen Sie derzeit in Ihrer Arbeit?
Renne: Wir stehen jetzt vor dem Komplex, der sich mit Garagendurchsuchungen und der anschließenden Fahndung befasst. Dabei bestimmen die Ergebnisse aus den bisherigen Untersuchungen unser Herangehen. Uns geht es nicht darum, Polizeiarbeit nachzuvollziehen, sondern um die Frage nach dem Warum.

Was heißt das konkret?
Etwa die Frage, warum das NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe abtauchen konnte und durch wen oder was sie dabei unterstützt wurden. Es geht hier nicht um behördliche Pleiten, Pech und Pannen, sondern um Fragen nach der Verantwortung und Schuld auch im juristischen Sinne.

Und was haben Sie dabei bisher ermittelt?
Schon 1997 gab es nachvollziehbare Hinweise auf eine Sabotage des Verfassungsschutzes gegenüber der Polizei. So listet ein Papier des Bundeskriminalamts (BKA) vom Februar 1997 Fälle auf, in denen V-Männer in der militanten Neonaziszene nicht nur führende Kader waren, sondern auch wesentlichen Anteil an Vernetzung, Strategie und Aufbau von Organisationen und Kommunikationsstrukturen hatten. Die Arbeit der Polizei wurde durch ausbleibende oder späte Information seitens des Verfassungsschutzes behindert. Die V-Männer und Informationsquellen wurden über technische Möglichkeiten der Polizei informiert und vor Maßnahmen gewarnt. Damit wurde die Strafverfolgung der gesamten Szene erschwert oder gar verhindert, die Betroffenen wurden weder angeklagt noch verurteilt.

Der Verfassungsschutz hat offensichtlich gewaltbereite Hardcore-Neonazis als V-Leute mit viel Geld alimentiert und gedeckt.
Der Verfassungsschutz hat nicht nur beim Aufbau von Nazistrukturen mitgewirkt, sondern diese auch abgeschirmt. Ein System »hauptamtlicher Neonazis« wurde geschaffen, die vor jeglicher Verfolgung durch Polizei und Justiz geschützt wurden und, wie Dalek und Brandt, den Thüringer Heimatschutz und gefährliche Kameradschaftsstrukturen schaffen konnten.

Wer trägt dafür die politische Verantwortung?
In Thüringen das zuständige Personal im Landesamt für Verfassungsschutz und im Innenministerium. Diese Leute sind nicht einfach unfähig, sondern gefährlich. Dafür hatten sie Deckung aus der CDU-Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, der für die politische Ausrichtung zuständig war. Die Innenminister sind verantwortlich für Straftaten im Amt, die Stärkung der Neonaziszene, unverantwortliche Personalpolitik, eine Fehlinformation der Öffentlichkeit und des Parlaments, mangelnde bis fehlende Fach- und Dienstaufsicht bzw. vollkommene Intransparenz bei Strukturentscheidungen.

Und welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Thüringer Justizbehörden?
Die Justiz hat mehrfach Verfahren gegen Neonazikader und Spitzel eingestellt. Hier müssen wir nachfragen, ob es Weisungen oder Einflussnahmen von übergeordneten Stellen gab, die für sachlich oder rechtlich falsche Entscheidungen verantwortlich sind.

Interview: Hans-Gerd Öfinger

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