Belfast: Lösungen im Flaggenstreit gesucht

Dauerproteste brachten nordirischer Wirtschaft bereits schwere Einbußen

  • Katharina Millar, Derry
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach 40 Tagen Flaggenstreit und Krawallen wird in Nordirland fieberhaft nach Lösungen gesucht, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

Zwischenbilanz nach 40 Tagen Flaggenstreit: 107 Festnahmen, 66 verletzte Polizeibeamte sowie geschätzte Polizeieinsatzkosten von bisher etwa 7 Mio. £ (8,5 Mio. €). Hinzu kommen gravierende Finanzeinbußen örtlicher Gewerbetreibender, die in den ohnehin wirtschaftlich heiklen Zeiten dringend auf ein gutes Weihnachtsgeschäft angewiesen waren. Vertreter von Handel und Industrie warnen vor Milliardenverlusten durch Investitionsausfälle, der Vorsitzende des nordirischen Einzelhändlerverbandes NIIRTA fordert das zeitweilige Einfrieren der Kommunalsteuern, um drohende Ladenschließungen zu verhindern.

Zwar beschränken sich die abendlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei überwiegend auf einzelne Gebiete im Osten Belfasts, tatsächlich finden aber täglich unzählige friedliche, wenn auch zumeist illegale, Minidemonstrationen im ganzen Land statt. Nicht zu vergessen die Todesdrohungen gegen diverse Abgeordnete und Brandanschläge auf deren Parteibüros und Wohnorte. Die Reduzierung der Fahnenschau am Belfaster Stadtratsgebäude von 365 auf 18 Tage brachte die Provinz eigentlich nur in Reihe mit dem Rest des Königreiches, dafür aber das Fass in den protestantischen Reihen zum Überlaufen.

Bereits Wochen zuvor hatten die mit Sinn Fein ko-regierende Democratic Unionist Party des Regierungschefs Peter Robinson und die ehemals führende und inzwischen nahezu in der politischen Versenkung verschwundene Ulster Unionist Party mit einer großflächigen Verteilung von Flugblättern Stimmung gegen die kleine Alliance Party gemacht, die bei der Flaggenabstimmung die undankbare Rolle des Züngleins an der Waage hatte. Robinson hatte nach langen Jahren bei der letzten Wahl zum britischen Unterhaus den Sitz für Ost-Belfast an eben diese Partei verloren. Beteuerungen britischer Politiker, die Position Nordirlands innerhalb des Vereinten Königreichs sei jetzt sicherer als noch vor einem Jahrzehnt, ändern nichts an der Enttäuschung über den empfundenen »schleichenden Ausverkauf der nationalen Identität und Kultur« seit dem Karfreitagabkommen. Die seit Langem wachsende Unzufriedenheit in unionistischen und loyalistischen Reihen lässt manche ihre politische Führung inzwischen als Handlanger von Sinn Fein betrachten. Das öffnet dem nie ganz verschwundenen paramilitärischen Einfluss wieder das Feld: Nach Angaben des nordirischen Polizeichefs Matt Baggott sind führende Mitglieder der Ulster Volunteer Force (UVF) für die Proteste mitverantwortlich.

Politiker der unionistischen Parteien warnen derweil vor steigenden Spannungen zwischen katholischen und protestantischen Bevölkerungsteilen - und beginnen gleichzeitig Anträge zur Beflaggung in Gemeinderäte einzubringen, in denen seit Jahren keine Fahne mehr gehisst wurde.

Nun soll das am Donnerstag zum ersten Mal zusammengetretene New Unionist Forum die Verbindung zur Basis wieder herstellen. Nicht an diesem Schulterschluss teilnehmen will eine der Gruppierungen, die hinter den Protesten steckt: Mit dem ebenfalls neu gegründeten Ulster People Forum ist auch der umstrittene protestantische Menschenrechtler Willie Frazer auf den Zug aufgesprungen. Das letzte Mal war Willie in Schlagzeilen, als er das Hauptquartier des IRA-Nachwuchses in einer nordirischen Grundschule vermutete, dort flatterte eine seiner Meinung nach irische Fahne: die italienische Flagge.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.