- Kommentare
- Thema: »Luxemburgismus«
Der Name der Rose
Der Streit um Luxemburgs Fragment »Zur russischen Revolution« und eine Klarstellung von Paul Levi
Zur Klarstellung
Auf die verschiedenen, von Clara Zetkin und anderen abgegebenen Erklärungen zu der jetzt erschienenen Broschüre von Rosa Luxemburg möchte ich Folgendes feststellen:
1. Die Broschüre ist niemals als eine geheime Waffe behandelt worden, die man unter Umständen einmal gegen die Bolschewiki schleudern und bis dahin unter Giftverschluss halten müsse. Ihre Veröffentlichung im Rahmen der Gesamtausgabe des Nachlasses von Rosa Luxemburg war für uns alle selbstverständlich. Von solch einer Gesamtausgabe sprach man schon zu Lebzeiten von Leo Jogiches, im Frühjahr 1919. Infolgedessen ließen wir im Jahre 1919 eine ganze Reihe von Durchschlägen herstellen. Einen erhielt u. a. Karl Radek (der ja in einer Polemik gegen Kautsky bereits im Sommer 1921 auf die Broschüre anspielt), ein zweites Exemplar erhielt ein anderer bekannter russischer Genosse, ein drittes wurde damals an Lenin auf den Weg gegeben; bei der damaligen Kommunikation glaube ich nicht, dass es ankam. Eine ganze Reihe von Durchschlägen hätte Noske schon 1919 finden müssen, wenn er sich auch nur der Mühe unterzogen hätte, wenn er schon einmal Papiere beschlagnehmen ließ, sie auch durchzusehen. Kein Mensch hatte jemals davon geredet, dass die Broschüre nicht Rosa Luxemburgs Meinung darstelle und zu verbrennen sei.
2. Zum ersten Male tauchte diese Behauptung in der Weltgeschichte auf, als Clara Zetkin im Sommer 1921 von Moskau zurückkam. Sie berief sich dabei auf ein Gespräch mit Leo Jogiches. Diese neuentstandene Fabel hatte folgende Vorgeschichte. In Moskau war die Bildung eines Komitees zur Herausgabe der Werke von Rosa Luxemburg und dessen Finanzierung durch die 3. Internationale beschlossen worden. Bald nach ihrer Rückkehr aus Moskau sandte Clara Zetkin eine Sekretärin zu der Genossin Mathilde Jacob, um in den nachgelassenen Papieren zu »arbeiten«. Mathilde Jacob traute dem Frieden nicht und verwies Clara Zetkin an mich. Just in dieser Situation hörte ich zum ersten Mal jene Geschichte von der geänderten Meinung und dem Verbrennen aus dem Munde Clara Zetkins. Ich habe ihr darauf erklärt, dass ich es für eine Sünde gegenüber Rosa Luxemburg halten würde, jetzt ihr Werk gewissermaßen in majore glorium bolschewikorum herauszugeben, dass gerade die Politik der Bolschewiki seit Frühjahr 1921 Rosa Luxemburg glänzend gerechtfertigt habe und dass ich mir die Herausgabe der Werke Rosa Luxemburgs nur in scharf kritischer Stellung zur Politik der Bolschewiki denken könne. Was die finanzielle Seite angehe, so sei ich bereit, von ergebenen Freunden Rosa Luxemburgs in Deutschlands die Mittel zu beschaffen. Da diese Anregungen zurückgewiesen wurden, habe ich mir freie Hand vorbehalten, in meinem Sinne dem Andenken Rosa Luxemburgs zu dienen.
Der naheliegende Kausalzusammenhang zwischen jenem Moskauer Beschluss und dem mit einem Mal geäußerten Willen zum Autodafé hat mich in der Auffassung bestärkt, dass ich recht daran tue.
3. In ihrer Erklärung »Kurzes Gedächtnis und kurze Beine« (»Rote Fahne«, 3. Januar 1922) führt Clara Zetkin als Gründe für die behauptete Bekehrung von Rosa Luxemburg folgende als »bedeutsam« an. Die nach der Entlassung aus der Schutzhaft »nun gegebene Möglichkeit nicht nur zum gründlichen Studium, vielmehr auch zum persönlichen Meinungsaustausch mit Genossen, die mit den Verhältnissen in Russland genau vertraut waren, oder die mitten im Strom des revolutionären Geschehens standen, vor allem aber der eindringliche Anschauungsunterricht der Revolution in Deutschland selbst«.
Diese Gründe sind so allgemein, dass sie nahezu auf jeden Meinungsumschwung zutreffen, und Clara Zetkin mag sich daher für unverwundbar halten, wenn sie solche Plattheiten auftischt. Hätte sie damals unter uns gelebt, so wüsste sie, dass selbst diese Gemeinplätze hier ungangbar sind.
Gründliches Studium? Wir verbrachten die ersten Wochen der Revolution, Rosa Luxemburg bis Anfang Dezember, in einer Hetze von einem Hotelzimmer in das andere, ohne die Möglichkeit, wie wir uns oft versagten, auch nur ein Buch lesen zu können. Wir waren morgens um 11 Uhr bis abends um 12 Uhr im Redaktionslokal und in der Druckerei. Rosa Luxemburg verließ die Druckerei als letzte, oft so schwach, dass man sie an den Wagen tragen musste. Sie hatte die ganze Zeit, bis zu ihrem Tode, keine Muße, weder zu einem gründlichen noch zu einem oberflächlichen Studium, und vor allem - sie hatte gar nicht die technischen Mittel dazu. Die russische Botschaft, aus der sonst Material zu bekommen war, war zu [die sowjetrussische Botschaft war im Oktober 1918 ausgewiesen worden - J. S.]. Irgendeine Verbindung nach Russland bestand nicht. Rosa Luxemburg fand in den Tagen ihrer letzten »Freiheit« nicht einen Fetzen Material, den sie nicht schon in der Schutzhaft gekannt hätte.
Meinungsaustausch mit Genossen, die mit den Verhältnissen in Russland genau vertraut waren. Als Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis kam, gab es dergestalt niemand in Berlin. Die Botschaft war, wie gesagt, leer. Der erste Kenner Russlands tauchte in Berlin erst wieder um den 20. Dezember 1918 auf. Es war Karl Radek. Diese Schwalbe machte nun freilich nicht den von Clara Zetkin besungenen Sommer. Für Karl Radek hatte Rosa Luxemburg - ich würdige das heute mehr als damals - nur ein Gefühl: Ekel. Ich musste damals erst intervenieren, um wenigstens einen »korrekten« Empfang zu ermöglichen. Unter dem Eindruck dieses persönlichen Widerwillens nahmen nun auch ihre Äußerungen gegen die Bolschewiki und ihre Taktik drastische Formen an. »Wir brauchen keinen ›Kommissar für Bolschewismus‹, die Bolschewiki mögen mit ihrer Taktik zu Hause bleiben«, so äußerte sie sich jetzt. Viel bezeichnender als da, wo sie sich mit Unmut äußerte, sind ihre Worte da, wo sie mit einer großen Sympathie sprach. Sie sprach mit mir - es wird wohl am Heiligabend 1918 gewesen sein - lange über [Feliks Edmundowitsch] Dzierzynski, von dem sie mit größter Achtung und tiefster Sympathie sprach. Sie schloss dann, sie fühle sich selber gewissermaßen befleckt dadurch, dass es Dzierzynski sei, der alle die Dinge drüben mit seinem Namen decke.
Der Anschauungsunterricht in Deutschland. Ach, der begann, wenn er überhaupt für die bolschewistische Methode in Deutschland geführt wurde, erst mit der Ermordung Rosa Luxemburgs.
Nein: Rosa Luxemburg hat ihre Ansicht über die Taktik der Bolschewiki zu Lebzeiten nicht geändert, wie auch Leo Jogiches nicht. Ja, ich glaube, auch die polnischen Freunde von Rosa Luxemburg haben ihre mit Rosa konforme Auffassung erst lange nach dem Tod von Rosa Luxemburg geändert.
Die Behauptung, Rosa Luxemburg habe ihre Meinung über die Taktik der Bolschewiki geändert, ist diesen Sommer nach dem Moskauer Kongress der Kommunistischen Internationale entstanden.
Ich sehe in ihr eines der Opfer, das Clara Zetkin dort gebracht hat, leider nicht nur ein sacrificio del intelletto [gemeint ist die Unterwerfung unter eine höhere Entscheidung gegen jede bessere Einsicht - J. S.].
Berlin, 5. Januar 1922
Paul Levi.
Aus: Unser Weg. Herausgegeben von Paul Levi, 1922, H. 1/2, S. 44-46.
In der DDR des Jahres 1974 avancierte ein Titel aus dem Dietz Verlag Berlin zum Geheimtipp. Das kam nicht häufig vor; Lesegut, das geeignet schien, eigenständiges Denken anzuregen, gehörte nicht unbedingt zum Kerngeschäft des Hauses. Bei dem Tipp handelte es sich um den Band 4 der Gesammelten Werke von Rosa Luxemburg, herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Die eigentlichen Herausgeber dieser mit höchsten Weihen versehenen Ausgabe, Günter Radczun und Annelies Laschitza, hatten damit etwas durchgesetzt, was vor und nach ihnen in den Staaten, deren Vatikan sich in Moskau befand, niemand vermochte: Rosa Luxemburgs Gefängnisfragment »Zur russischen Revolution«, in der sie die Oktoberrevolution begrüßte und zugleich vor einer Diktatur der Bolschewiki warnte, zu veröffentlichen. Wohl hatten sich im Polen des Jahres 1957 - nach der Machtübernahme durch Wladislaw Gomulka - einige Intellektuelle erdreistet, die Schrift der polnischen Revolutionärin verlegen zu wollen, doch war das dem »Reformer« zu reformerisch gewesen; die ausgedruckte Auflage wurde eingestampft… Günter Radczun und Annelies Laschitza wussten natürlich, auf wessen Schultern sie standen - sie durften es aber nie erwähnen. Denn es waren die von Paul Levi (1883 - 1930), des ersten offiziellen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, während des Ersten Weltkrieges in der Schweizer Emigration Lenins engster deutscher Verbündeter.
Levi hatte 1917 die Ehrenerklärung für Lenins Reise durch das deutsche Feindesland unterschrieben. Allerdings waren Levi und Lenin beim 2. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1920 aneinandergeraten; Levi verweigerte sich Lenin, der sich allen Ernstes einbildete, mit einer militärischen Eroberung Polens in Deutschland die proletarische Revolution auszulösen. Nach dem von der Komintern angefachten Aufstand in Mitteldeutschland im März 1921, gegen den Levi mit einer Broschüre öffentlich protestiert hatte (»Wider den Putschismus«), wurde er aus der Partei Rosa Luxemburgs - die sich nun zu einer Partei Lenins wandelte - ausgeschlossen.
Levis Veröffentlichung von Rosas Text »Zur russischen Revolution« im selben Jahr sieht nach einer Retourkutsche aus, war aber die Antwort auf Clara Zetkins Versuch, in Lenins Auftrag den Weg dieses Manuskriptes in die Öffentlichkeit zu verhindern - eine tragische Geschichte (s. »Nichts gegen Russland«, im »nd« v. 2. Januar). Nachdem das misslungen war, gab Clara Zetkin eine Erklärung ab, dass Rosa angeblich gegen eine Veröffentlichung gewesen sei, denn sie habe nach der Entlassung aus dem Gefängnis »ihre frühere Einstellung zur Konstituante, Demokratie, Sowjetsystem, Terror w e s e n t l i c h
g e ä n d e r t«. (»Roten Fahne«, 22. Dezember 1921; Sperrung im Original) Nicht enthalten war in dieser Erklärung die Behauptung, dass Leo Jogiches, Rosa Luxemburgs langjähriger Partner, vor seiner Ermordung im März 1919 die Verbrennung des Manuskriptes gefordert hatte; das wagte Clara Zetkin nun doch nicht drucken zu lassen. Mit dieser Erklärung war die kommunistische - allerdings »luxemburgistische«, also nicht den Bolschewiki hörige - Kampfgemeinschaft, die Clara Zetkin mit Paul Levi bis zu ihrer »Bekehrung« durch Lenin im Sowjetrussland des Sommers 1921 verbunden hatte, auch offiziell beendet.
Unterzeichnet hatte die Erklärung neben Clara Zetkin Rosa Luxemburgs langjähriger politischer Weggefährte Adolf Warski, unterdessen einer der Führer der Kommunistischen Partei Polens. Warski hatte Rosa das letzte Mal vor dem Weltkrieg, Clara Zetkin zuletzt im Mai 1916 gesprochen, während Levi mit Rosa bis zu ihrer Ermordung in engem, nach ihrer Entlassung aus der »Schutzhaft« in täglichem Kontakt gestanden hatte. Auf dieses Legitimationsdefizit von Warski und Zetkin wies Levi am 25. Dezember 1921 in einer ersten Reaktion hin, worauf sich Clara Zetkin zu einem zweiten Text gezwungen sah (»Roten Fahne«, 3. Januar 1922), es aber vermied, auf Levis Argument einzugehen. Nebenstehend wird Levis Antwort vom 5. Januar 1922 erstmals wieder veröffentlicht; sie spricht für sich.
P.S. Adolf Warski hat der Verrat an Rosa Luxemburg nur einige Jahre genützt: 1929 ließen die Bolschewiki den »Luxemburgisten« fallen, der er für sie trotz aller Anpassung stets geblieben war. Heute ist er vergessen - wie die mehr als zweitausend polnischen Kommunisten, die mit ihm 1937 in der UdSSR ermordet wurden. Diese Unglücklichen und ihre kommunistische Partei - aus der der Geist Luxemburgs nie ganz gewichen war und die Moskau deshalb auflösen ließ - traf ein Fluch, der eigentlich Rosa Luxemburg (und Leo Jogiches) galt. Doch beide waren schon lange tot, von der »richtigen Seite« ermordet.
Jörn Schütrumpf, Leiter des Karl Dietz Verlages
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.