Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Rund 10 000 Menschen demonstrierten in Berlin
Pünktlich um zehn Uhr vormittags setzt sich die Demonstration am Frankfurter Tor mit rund 4000 Teilnehmern Richtung Lichtenberg in Bewegung. Wie jedes Jahr sind junge und alte Linke aus ganz Deutschland nach Berlin gekommen, um der 1919 ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Selbst aus Österreich sind welche angereist: Am Rande der Menschenmenge steht eine junge Frau und verteilt Flugblätter des Kommunistischen Jugendverbands Österreich.
Acht Kilometer weiter westlich wirken Landwehrkanal und Neuer See im Berliner Tiergarten grau und kalt. Einzelne rote Nelken, die am Denkmal für Rosa Luxemburg und an der Gedenkstele für Karl Liebknecht abgelegt wurden, werden vom frisch wehenden Wind hin und her bewegt. An diesem Ort wurden vor nunmehr 94 Jahren die beiden Sozialisten von rechtsextremen Freikorpssoldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zunächst misshandelt und anschließend ermordet.
Die Szenerie wird eine andere, als der Demonstrationszug des Jugendbündnisses »Rosa und Karl« die Corneliusbrücke über den Landwehrkanal erreicht. Von den knapp 800 Teilnehmern der alternativen »LL-Demo« tragen viele rote Fahnen, einige sind mit den verschiedenen Organisations- und Parteilogos bedruckt. Von der Linksjugend »Solid« über die sozialistische Jugend »Die Falken« bis hin zu den Jusos ist alles vertreten.
Organisiert haben die Jugendverbände das alternative Gedenken dieses Jahr, weil ihrer Meinung nach die traditionelle Demo zur Glorifizierung von Josef Stalin und anderer Diktatoren missbraucht wird. Auf der anderen Seite war von »Spaltung« die Rede. »Wir wollen auch keine Stalin-Bilder auf der LL-Demo«, entgegnete Ellen Brombacher, die die Kommunistische Plattform der Linkspartei im Luxemburg-Liebknecht-Bündnis vertritt, im Interview mit dem »nd«. Man könne bei einer Demonstration von bis zu 10 000 Teilnehmern nicht verhindern, dass ein paar Leute ein Stalinbild tragen.
»Mit unserer Demonstration wollen wir etwas völlig anderes organisieren. Statt bloßer Apologetik geht es uns um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ideen und Werten Luxemburgs und Liebknechts«, erklärt Kevin Kühnert, Landesvorsitzender der Berliner Jusos, mit Verweis auf die im Vorfeld stattgefundene Diskussionsreihe. Dass gerade seine Organisation zum Gedenken an Karl und Rosa aufrief, wurde etwa aus dem traditionell autonomen Lager als Hohn aufgefasst. Schließlich ist die Mutterpartei der Jusos, die SPD, mitverantwortlich für Hartz IV und den Krieg in Afghanistan.
So kursierte im Internet in Anlehnung an das Plakat des »Rosa und Karl«-Bündnisses als Satire ein »Angela&Peer«-Plakat. Statt den Konterfeis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind darauf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück zu sehen.
»Ich war noch nie auf der traditionellen, oder wie ich eher sagen würde, autoritär-orthodoxen LL-Demo. Dort tummeln sich seit Jahren gruselige Politsekten, die rein gar nichts mit einer freien und emanzipatorischen Gesellschaft zu tun haben«, erklärt Thomas Marquardt, ein der Naturfreundejugend nahestehender Demonstrationsteilnehmer.
»Wer sich an so etwas wie Stalinbildern auf der Demo aufhängt, der hat sie nicht mehr alle«, sagt unterdessen ein junger Mann auf der traditionellen Demonstration in Lichtenberg. »Es sind mindestens zehn Mal mehr Baskenfahnen zu sehen als Stalinköpfe.«
In der Tat muss man lange suchen und genau hinsehen, um ein Bild von Josef Stalin zu sehen. Gerade einmal auf zwei Transparenten prangt sein Gesicht - einmal auf einem Banner türkischer Kommunisten, das andere Mal heben Mitglieder des Rebells, der Jugendorganisation der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), das Konterfei Stalins in die Höhe. »Stalin war genau so ein guter wie die Anderen«, versucht sich der 18-jährige Sebastian vom Rebell aus Halle zu rechtfertigen, warum er das Stück Stoff mit dem Diktator in den Händen hält.
Auch wenn hier und da neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Mao Tse Tung und Josef Stalin auf der klassischen Gedenkdemonstration zu sehen sind, ist sie weitaus mehr als das. Keine andere regelmäßig stattfindende Demonstration in Deutschland ist so bunt und vielfältig. Junge und alte Menschen sind zu sehen. Vor allem sind viele migrantische Gruppen anwesend: Türkische Kommunisten, Palästinenser; Kurden sammeln Unterschriften für die Freiheit des inhaftierten Abdullah Öcalan, eine kleine Gruppe Exilchilenen ruft zur Solidarität mit den Mapuche-Indianern auf.
»Solidarität«, das war wohl auch das wichtigste Wort auf dieser Demonstration. Immer wieder war »Hoch die Internationale Solidarität!« zu hören. »Gegen die Diktatur der Deutschen Bank - Solidarität mit Griechenland«, skandierten Mitglieder der FDJ am Ende des Zugs.
Als dieser Richtung Friedhof einbog, wurde es leise. Die Lautsprecher verließen die Kundgebung, dafür standen jetzt die Blumenverkäufer am Rand. Mit einer roten Nelke in der Hand ging es an den Bücher-, Essens- und Devotionalienständen vorbei zum Stillen Gedenken auf dem Friedhof in Friedrichsfelde. Dort hatten bereits am Sonntagmorgen unter anderem die Vorsitzenden den LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, der Ermordung der Revolutionäre gedacht. Auch Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi, der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras, der frühere DDR-Ministerpräsident Hans Modrow und der letzte DDR-Staatschef Egon Krenz waren anwesend.
Auf dem Friedhof blieb es weitgehend ruhig. Zwischenzeitlich kam es nach Polizeiangaben zu einer kurzen Auseinandersetzung um den Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus. Dort hatte die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld gegen das Gedenken demonstriert.
»Was für Vollpfosten! auf dem Friedhof der Sozialisten ›Viva Stalin‹ rufen. Schämt euch!«, kommentierte die Berliner Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Halina Wawzyniak, auf dem Internetdienst »Twitter« die Entgleisungen einiger Weniger.
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