Brüssel plant Abbau von Arbeitnehmerrechten
Gewerkschaften demonstrieren nächste Woche gegen Sozialdumping und Ausbeutung
Gegen grenzüberschreitende Ausbeutung und Sozialdumping wollen europäische Gewerkschaften am kommenden Mittwoch vor dem Brüsseler Europaparlament demonstrieren. Zu der Veranstaltung werden 5000 Teilnehmer vor allem aus Baugewerbe, Verkehrswesen, Lebensmittelindustrie und Tourismus erwartet, davon rund 3000 aus der Bundesrepublik. Aufgerufen haben Gewerkschaftsbünde und betroffene Branchengewerkschaften.
Stein des Anstoßes sind Pläne der EU-Kommission, die geltende Entsenderichtlinie durch eine Durchsetzungsrichtlinie zu ergänzen, die zeitgleich mit der Demonstration in Ausschüssen des EU-Parlaments beraten wird. Nach DGB-Angaben droht damit eine weitere Verschlechterung von Arbeitnehmerrechten und eine Ausweitung prekärer Beschäftigung in Europa. So sieht DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki als Folge der Pläne die Anwendung deutscher Tarifverträge und den Grundsatz »gleiche Rechte für gleiche Arbeit am gleichen Ort« in Gefahr.
Mobilität gehöre auch für abhängig Beschäftigte zu den Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes, heißt es in einem Demonstrationsaufruf: »Das ist gut, solange geltendes Sozial- und Arbeitsrecht am Ort der Arbeit eingehalten wird und die Beschäftigten vor Ausbeutung geschützt werden.« Es sei aber unzumutbar, dass die EU-Kommission eine Generalunternehmerhaftung bei der Arbeitnehmerentsendung abschafft sowie die Kontrollrechte der nationalen Behörden etwa gegen die Schwarzarbeit einschränken wolle.
Mit der neuen Durchsetzungsrichtlinie würde für bundesdeutsche Filialen rumänischer oder bulgarischer Baufirmen der hierzulande für das Bauhauptgewerbe bestehende gesetzliche Mindestlohn nicht greifen, warnt Bodo Matthey vom westfälischen Bezirksverband der IG BAU. Zoll und Berufsgenossenschaft dürften dann keine Kontrollen auf den Baustellen vornehmen. Um solche Szenarien zu verhindern, bricht Matthey mit über 100 IG BAU-Mitgliedern aus seinem Bezirk am Mittwoch um drei Uhr früh von Dortmund nach Brüssel auf. Auch in der Fleischwirtschaft brennt das Problem auf den Nägeln. In einem westfälischen Schlachthof etwa stammt die Hälfte der rund 7000 Beschäftigten aus Osteuropa und ist auf der Grundlage von Werkverträgen eingesetzt.
Zu den gewerkschaftlichen Forderungen an eine künftige Richtlinie gehören wirksame Prävention, Kontrollen und Sanktionen gegen Briefkastenfirmen und jegliche Form von Sozialbetrug, missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit. Bußgelder und Strafen müssten EU-weit effektiv vollstreckt werden können. Statt einer Dumpingspirale nach unten müsse eine Gleichstellung aller Beschäftigten auf hohem Niveau und unabhängig von Herkunft und Beschäftigungsform durchgesetzt werden. Um die am Arbeitsort geltenden Tarife, Gesetze und Verordnungen einzuhalten, seien auch eine wirksame Haftung der Generalunternehmer oder Auftraggeber für Subunternehmer, eine flächendeckende Information und Beratung für die Beschäftigten, umfangreiche Meldepflichten und effektive Kontrollen nötig.
Die ursprüngliche Entsenderichtlinie von 1996 sollte die im EU-Binnenmarkt entsandten Beschäftigten vor Lohn- und Sozialdumping schützen und die Einhaltung nationaler Mindestarbeitsbedingungen aller am gleichen Ort eingesetzten Beschäftigten garantieren. Im Alltag der Wanderarbeiter biete die Entsenderichtlinie jedoch schon jetzt keinen ausreichenden Schutz vor Ausbeutung, Lohn- und Sozialdumping, beklagen die Gewerkschaften.
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