Pleitewelle erreicht britischen Einzelhandel

Großbritanniens Bürger haben immer weniger Geld zum Ausgeben - das schwächt die Geschäfte

  • Christian Bunke, Manchester
  • Lesedauer: 3 Min.
Großbritanniens Einzelhandel leidet merklich unter der europaweiten Krise. Die ersten Großinsolvenzen sind schon angemeldet.

Wer wissen will, wie es um die Wirtschaftslage in Großbritannien bestellt ist, muss nur eine beliebige Einkaufsstraße besuchen. Über 12 500 Einzelhandelsgeschäfte sind von Insolvenz bedroht. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus Zahlen hervor, die die Tageszeitung »Guardian« vergangene Woche veröffentlichte.

Immer öfter erwischt es dabei große Namen. Während der Weihnachtszeit gingen die Elek- tronikartikelkette Comet und der Fotofachhändler Jessops Pleite. Am 17. Januar meldete mit Blockbuster Großbritanniens einziger verbliebener DVD-Verleih Insolvenz an. Bereits vor einer Woche wurde der Niedergang der traditionellen Musikfachhandelskette HMV bekanntgegeben. Insgesamt sind durch die diversen Pleiten über 14 000 Jobs bedroht.

Für die britische Wirtschaft sind das schlechte Nachrichten. Sie schrammt ohnehin knapp am Rand der Rezession oder ist bereits drin, je nachdem, welcher Statistik man glaubt. Zudem liegt auch die Baubranche - wie der Einzelhandel ein bedeutender Indikator für die Wirtschaftsentwicklung - am Boden. 2012 gingen 60 000 Jobs in der Branche verloren.

Der Einzelhandel ist der größte Arbeitgeber im britischen privaten Sektor. Drei Millionen Erwerbstätige sind von ihm abhängig. Die Schuld an der Krise wird vor allem dem Onlinehandel zugeschoben. Der mache Einzelhandelsgeschäfte zunehmend obsolet, ist zu lesen.

Dabei wird ein wesentlicher Punkt vergessen: Die Menschen haben einfach weniger Geld zum Ausgeben in der Tasche. Hier macht sich die Sparpolitik der Regierung bemerkbar. Zweieinhalb Millionen Menschen sind derzeit ohne Arbeit. 900 000 von ihnen bereits länger als ein Jahr. Dem stehen nur 486 000 offene Stellen gegenüber. 1,4 Millionen Menschen werden in schlecht bezahlte Teilzeitjobs gedrängt weil es keine Vollzeitstellen gibt. Gleichzeitig erarbeiten Vollzeitbeschäftigte jährlich zwei Milliarden Überstunden. Das ist laut dem Gewerkschaftsbund TUC das Äquivalent von einer Millionen Stellen.

Um die Dramatik der sozialen Lage in Großbritannien zu verstehen braucht man sich nur die Kinderarmut anschauen. Diese wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, auch weil die Regierung beschlossen hat, die Kinderbeihilfe für Familien künftig nur noch um ein Prozent pro Jahr zu erhöhen. Das liegt unter der Inflationsrate und Familien werden dadurch laut TUC-Berechnungen jährlich rund 1000 Pfund weniger haben. 2,2 Millionen Kinder leben bereits jetzt offiziell in Armut.

Derweil hoffen die knapp über 4000 HMV-Beschäftigten, nicht in den Strudel aus Arbeitslosigkeit und Verarmung hinabgerissen zu werden. Noch sind die HMV-Shops offen. Wer aber Gutscheine als Weihnachtsgeschenk erhalten hat, hat Pech. Sie können nicht mehr eingelöst werden. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte hat die Abwicklung übernommen. Es wird mit der Schließung von mindestens der Hälfte der rund 200 HMV-Geschäfte gerechnet.

Die Welle von Firmenpleiten ist ein schwerer Schlag für die britische Regierung. Diese hatte in den vergangenen Monaten immer wieder verkündet, ihre Sparpolitik werde das Land aus der Krise herausholen. Das Gegenteil ist der Fall. Alle großen Ratingagenturen rechnen damit, dass Großbritannien bald die Bestnote verliert.

Das Jahr 2013 ist noch jung. Und der Januar für die Banken ein beliebter Monat zum Schuldeneintreiben. In den kommenden Monate muss man sich also wohl auf weitere Insolvenzen einstellen.

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