Auf der Privatisierungsbremse

Leipziger Bürger wollen den schleichenden Ausverkauf kommunalen Eigentums stoppen

Eigentlich haben sich die Leipziger bereits für den Erhalt kommunaler Unternehmen ausgesprochen. Doch die Stadt privatisiert scheibchenweise weiter. Die Antiprivatisierungsinitiative von damals hat deshalb ein neues Bürgerbegehren gestartet. Mit einer wasserfesten Formulierung - wie sie hofft.

Die Privatisierungsgegner geben nicht auf. Vor fünf Jahren haben sie in Leipzig einen großen Erfolg errungen: Fast 150 000 Bürger stimmten damals dafür, dass sämtliche Unternehmen der Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand bleiben sollen. Doch der Stadtrat hat einen Weg gefunden, diesen Beschluss aufzuweichen. »Die Großen« werden nicht angetastet, dafür aber einzelne Bereiche und kleinere öffentliche Unternehmen. »Scheibchenweise wird weiter privatisiert«, kritisiert Mike Nagler von der Antiprivatisierungsinitiative Leipzig (April), die schon den ersten Bürgerentscheid initiiert hatte. Konkret heißt das: Die Wohnungsbaugesellschaft wird nicht komplett verkauft, aber 5000 Wohnungen.

Das April-Netzwerk will die Schlupflöcher schließen. Ohnehin ist das Votum der Bürger von 2008 nicht mehr bindend. Es hat ein neues Bürgerbegehren zum Schutz kommunalen Eigentums gestartet. Seit dieser Woche werden Unterschriften gesammelt - für eine »Privatisierungsbremse«.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, der wohl auch nach der OB-Wahl am Sonntag die Stadt leiten wird, versichert zwar, dass Unternehmen der Daseinsvorsorge nicht verkauft werden sollen. »Sie sind tabu«, erklärt er gegenüber »nd«. Aber nicht alles, was die Stadt derzeit besitzt, gehört für Jung zur Daseinsvorsorge. »Bei allen anderen Beteiligungen gilt es abzuwägen und dabei auch die Finanzlage der Stadt zu betrachten«, so der SPD-Politiker.

Was gehört eigentlich alles zur öffentlichen Daseinsvorsorge? Das ist die zentrale Frage. Der Begriff ist nicht definiert«, das hat Privatisierungsgegner Nagler lernen müssen. So wurde das städtische Bestattungswesen in eine GmbH umgewandelt und zum Verkauf ausgeschrieben. Bereits veräußert ist eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke, die HL-Komm, die für den Ausbau der Breitbandversorgung zuständig ist. Aus Sicht von OB Jung wurde dadurch »der Standort Leipzig gesichert« und die Stadt »spürbar« entschuldet. Aus Sicht des April-Netzwerks hat er damit einen wichtigen Zukunftssektor aufgegeben, der zudem Gewinne erwirtschaftet.

Viele Leipziger sind gegen den Verkauf kommunaler Betriebe. Dennoch könnte es dieses Mal schwieriger werden für die Privatisierungsgegner, sie zu mobilisieren. Teilprivatisierungen und der Verkauf unbekannterer Betriebe lassen sich weniger leicht skandalisieren. Und ein Großdeal steht zumindest offiziell nicht an. Das ist einerseits gut für die Aktivisten, weil sie nicht wie 2008 unter dem Druck stehen, innerhalb von zwei Monaten Widerstand zu organisieren. Andererseits: Ohne drohendes Unheil weniger Empörung und Engagement. Die Initiative wird eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Nagler ist sich allerdings sicher, dass die Debatte spätestens nach der OB-Wahl an Fahrt gewinnen wird. So stehe das städtische Wassergut Canitz bereits seit Längerem »auf dem Prüfstand«. Die Flächen dienen Leipzig seit 100 Jahren als Trinkwasserressource. »Da wird es bald einen Vorstoß geben«, glaubt Nagler.

Diesmal wollen die Initiatoren auf Nummer sicher gehen. Ein Jahr lang haben sie diskutiert, wie eine wasserfeste Formulierung aussehen könnte. Am liebsten wäre ihnen, bei jedem Verkauf müsste zwingend ein Volksentscheid stattfinden. Das hat die rot-grüne Regierung in Bremen gerade in die Landesverfassung geschrieben, auch in Berlin wird darüber diskutiert. Aber was in Stadtstaaten möglich ist, lässt sich nicht so leicht übertragen. »Unsere Juristen haben abgeraten«, sagt Nagler. In Sachsen die Landesverfassung zu ändern - aussichtslos bei einer CDU-Regierung.

In der Frage, die nun abgestimmt werden soll, kommt das Wort »Daseinsvorsorge« nicht mehr vor. Stattdessen werden alle Arten kommunalen Eigentums aufgezählt, die weder ganz, noch teilweise veräußert werden dürften. Die Initiative will der Stadt aber nicht gänzlich die Hände binden. Der Verkauf kommunalen Eigentums soll möglich sein, wenn es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Stadtrat gibt. »Unstrittige Projekte sollen stattfinden dürfen«, so Nagler. Verhindert werden soll, dass knappe Mehrheiten von ein, zwei Stimmen langfristige und schwer umkehrbare Beschlüsse treffen. So wie es bislang war.

Der Beschlusstext ist von der Gemeindeordnung gedeckt, sind die Aktivisten überzeugt. Genauso sicher ist Nagler jedoch, dass der Stadtrat versuchen wird, »unseren Antrag als unzulässig darzustellen«. Bis Mai wollen sie 25 000 Unterschriften sammeln, dann könnte der Entscheid im Herbst parallel zur Bundestagswahl stattfinden. Das wäre günstig für die Beteiligung. Der erste große Einsatz der Privatisierungsgegner steht kurz bevor: Am Sonntag, wenn Leipzig einen neuen Oberbürgermeister wählt. Dann wollen sie mit ihren Listen ebenfalls zur Stelle sein.

www.privatisierungsbremse.de

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