Trödel, Wein und Alleluya
Eine kleine Tour durch die Bergwelt im Hinterland der Costa Blanca
Von der Küste aus gelangt man über einen Abzweig der Nationalstraße 332 aus in das 2000-Seelen-Bergdorf Jalón, in der regionalen Sprache Xaló genannt. Die Fahrt führt durch eine Landschaft, die bei stimmiger Jahreszeit durch weiß und rosa blühende Mandelbäumchen geprägt ist. Auch durch Plantagen, auf denen dicke dunkle Kirschen wachsen - schon von Weitem an den riesigen Netzen zu erkennen, die vor gefräßigen Vogelscharen schützen sollen. Orangenbäume mit Blüten, obgleich die Ernte der Früchte soeben ansteht. Überall werden auch Zitronen und Nisperos geerntet. An den Hängen reihen sich die Rebstöcke.
Entdeckung im Hinterland
Linkerhand fällt - abseits der nächsten Siedlung - ein steinernes und nach drei Seiten offenes Waschhaus auf. Hier trafen sich dereinst die Frauen der umliegenden Ortschaften, um Gewänder zu reinigen. Und natürlich auch, um ein wenig miteinander zu schwatzen. Heutzutage hat sich längst herumgesprochen, dass hier der Berg kristallklares und reines Wasser hergibt, gänzlich ohne Chlor und andere Zusätze, wie sie allzu reichlich im Trinkwasser an der Küste zwischen Valencia und Alicante vorkommen. Einheimische, Touristen und Residenten wissen das zu schätzen und füllen hier alle Woche ihre Kanister auf.
»Weg vom Strand, hinein ins Land« - mit diesem Slogan werben die Tourismusbüros an der Costa Blanca, natürlich vor allem die aus den Bergregionen. Da wundert es nicht, dass Jalón so ziemlich alle Tage weit mehr Besucher als Bewohner zählt. Das gilt natürlich vor allem sonnabends, wenn frühmorgens mehrere hundert Meter entlang dem Ufer des wasserarmen 55 Kilometer langen Rio Jalón ein Rastro öffnet, was in etwa Flohmarkt bedeutet.
Tatsächlich vermag man hier Trödel, Nonsens und allerhand Nippes zu erwerben. Vor allem aber durchaus ansehnliche Antikware wie Spiegel, Sessel, Kommoden, Schränke und allerhand anderes Mobilar. Allein der Fachmann erkennt, ob sie denn alt und echt oder neu und nachgemacht sind. Modische und zugleich preisgünstige Schuhe werden angeboten, Kleidung, Musikinstrumente, Süßes, Grünwüchsiges und dergleichen mehr. Manche Besucher kommen von weither. Internationales Sprachgewirr allüberall, seitens der Händler als auch der Käufer. Die gesamte Woche über bieten Bauern aus der Umgebung Obst und Gemüse an. Mit dem Rastro, den es seit 20 Jahren im Ort gibt, ist Jalón aufgeblüht. Die vielen Ansiedlungen jenseits der Flusspromenade sind ein nicht zu übersehender Beleg dafür.
Im Restaurant »Casa Alleluya«, auf halber Markthöhe direkt an der Fluss-Promenade, ist kaum ein Stuhl zu bekommen. Das eigenwillige Fluidum nährt sich bereits aus dem ersten Eindruck, wenn man das Lokal betritt - links eine Bar, rechts ein Trödelladen, geadelt mit einheimischen Weinsorten. Ein älterer Herr, offenkundig als Chef des Hauses ein fröhlicher Geselle, wedelt zwischen den Tischen beiderseits des Eingangs und im schattigen Hof umher, erkundigt sich nach dem Befinden seiner Gäste, macht hier und da ein gestenreiches Schwätzchen, nimmt auch Bestellungen entgegen, die sich aber nicht allzu oft sogleich in ein Getränk oder eine Speise auf dem Tisch verwandeln. Denn die jüngeren Leute aus seiner Familie haben längst die Regie übernommen.
Der alte Mann gilt inzwischen mehr als gute Seele des Geschäftes. Wenn ihm so ist, ruft er plötzlich »It's showtime«. Und schon steht er inmitten seiner Gäste, gießt sich aus einer »porrón«, einem gläsernen Gefäß mit einer länglichen Tülle, Wein auf die Stirn, der hernach in einem feinen Rinnsal beiderseits der Nase bis in den Mund fließt. Kein Tropfen geht daneben. Seine Schlussbemerkung »Alleluya« wird mit viel Beifall bedacht.
Wie mag das Etablissement zu seinem Namen gekommen sein? Die Legende vermerkt, dass der Chef dereinst zu einem kleinen umherziehenden Völkchen gehörte, der ewigen Wanderungen müde war und sich in Jalón niederlassen wollte. Er beantragte also die Lizenz für eine Bar. Sie wurde ihm allerdings mit einem Hinweis auf seine Herkunft und dem womöglich falschen Glauben verweigert. Wie er die Behörden von seiner christlichen Demut überzeugen konnte, wurde nicht überliefert. Jedenfalls bekam er irgendwann den Zuschlag, den er, beide Hände gen Himmel reckend, mit »Alleluya« kommentierte. Seither hört er selbst auf diesen Namen, den auch das Lokal trägt und inzwischen zu den ältesten und originellsten in der Umgebung zählt.
Die Rezepte der Tapas, der kleinen Häppchen, die hier angeboten werden, kommen auf den ersten Blick ziemlich einfach daher, etwa: Ein großflächiger Teller wird mit Tomatenscheiben ausgelegt, drapiert mit Oliven, Peperoni und geschnittenen Zwiebeln, letztere mit einem eher bescheidenen Eigengeschmack. Dazu Essig und heimisches Olivenöl, Salz und Pfeffer. Es werden Serrano-Schinken, Manchego, der typische spanische Hartkäse, und Pan gereicht, weißes Stangenbrot, ähnlich dem Baguette.
Wohl aus nachvollziehbarem Grunde bleiben Herkunft und Art der Zutaten selbst für Stammgäste ein streng gehütetes Geheimnis. Und so kommt es, dass der Salat aus dem Hause Alleluya nirgendwo anders so trefflich zu gelingen scheint als eben in Jalón. Kaum zu glauben: Kopien verfehlen ein jedes Mal das Original, auch bei Versuchen in den lediglich eine knappe halbe Autostunde entfernten Küstenstädten Denia, Javea, Calpe oder Benidorm, geschweige denn nach der Rückkunft in Berlin oder Leipzig.
Keine Krise im Tourismus
Nirgendwo übrigens sind rein äußerlich Zeichen der Krise zu bemerken, die Spanien seit geraumer Zeit heimsucht. Nur die Besitzerin eines Ladens mit preisgünstigem Modeschmuck und Accessoires räumt ein, vorsichtshalber weniger Ware eingekauft zu haben. Bis jetzt unnötigerweise, wie sie sagt. Auch in den Gewölben der gut 60 Jahre alten Bodega ein paar Schritte weiter, einem Weinkeller also, tummeln sich Touristen die gesamte Woche über wie die Jahre zuvor. Hier darf man vorher probieren, ob man was kauft oder auch nicht. Es gibt zudem getrocknete Trauben und diverse Olivenöle.
Nach Veröffentlichungen der gastgebenden Cooperativa produziert man über das Jahr rund 2,5 Millionen Liter Wein, zumeist an Hängen der umliegenden Berge geerntet, aber auch dazugekauft. Lediglich 100 000 Liter werden in Flaschen gefüllt und vertrieben, heißt es. Den »Rest« veräußert man »frei«, also direkt aus dem Fass in Kanistern, und für weniger Euros als anderswo. Viele Besucher bringen ihre Behälter gleich mit. In einer gläsernen Vitrine sind die vielfach preisgekrönten Sorten zu sehen: u.a. »Vall de Xaló«, »Bahia de Denia«, »Castell d´Aixa« sowie Moscatel-Wein und Mistela-Likörwein. »Es ist die Meeresbrise, die unseren Trauben das besondere Aroma gibt«, wird Senor Juan Reus, Direktor der Cooperativa, in Costa-Medien zitiert.
Gott spricht Kastillisch
Ansonsten dürften bei einem weiteren Gang durch das Dorf die Zeugen einer arabischen Vergangenheit nicht zu übersehen sein, die sich auch architektonisch in den Gassen und Winkeln widerspiegeln. Tatsächlich eroberten um 711 arabische Heerscharen das Land von den Mittelmeer-Küsten her und begannen, Teile der spanischen Bevölkerung zu islamisieren. Die Rückeroberung durch christliche Verbände, die aus dem Norden des Landes anrückten, endete 750 Jahre später, wie Eckart Plate in seinem Büchlein »Gott spricht Kastilisch« ausführlich beschreibt.
Einmal im Jahr werden in der Umgebung Jalóns - Krise hin und her - erneut die alten blutigen Schlachten geschlagen. Man zelebriert sie innerhalb dreier Tage, verkleidet als Krieger der einen oder der anderen Seite. Jedermann weiß, ob er gut oder böse ist. Am Freitag rücken die Araber vor, am Sonnabend geht es hin und her, am Sonntag obsiegen die Christen. Ein riesiges Spektakel. So scheint Geschichte Spaß zu machen. Und nach der Schlacht ist vor der Schlacht: Der nächste symbolischen Waffengang wird längst vorbereitet …
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