Vorwärts, und vergessen?
Die SPD feiert in diesem Jahr Geburtstag. 150 Jahre nach der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Ferdinand Lassalle im Mai 1863 gibt es dazu unbestrittenen Anlass. Und deshalb ist auch wenig dagegen zu sagen, wenn Sigmar Gabriel in diesen Tagen der Stolz auf lange Tradition und historische Größe anzumerken ist. Dass auch die Kanzlerin nach Leipzig kommt, wo sich die Sozialdemokraten im Mai zentral feiern, findet der SPD-Chef nicht nur erfreulich. Er sage es „ganz selbstbewusst“, hat Gabriel jetzt in der „Leipziger Volkszeitung“ die Zusage von Angela Merkel kommentiert: „Ich finde es auch angemessen“.
Das ist es, in jeder Beziehung. Die SPD ist wie die Union eine Staatspartei der Bundesrepublik, in den fundamentalen Fragen gibt es Konsens - über Staatsräson und Staatsschutz, über Fördern und Fordern, darüber, wo der Spaß der radikalen Kritik der Verhältnisse aufhört. SPD und Union haben koaliert und ein neuerliches Regierungsbündnis ab Herbst ist nicht auszuschließen. Natürlich kommt Frau Merkel zum Geburtstag der Sozialdemokraten. Und ja, die dürfen sich darüber genauso freuen wie sie ihr Jubiläum dazu nutzen, sich selbst in ihrer Vergangenheit zu spiegeln, die Geschichte zu nutzen, um sich selbst im Heute zu verorten.
Ein zentrales Narrativ der historischen Selbstvergewisserung der Sozialdemokraten ist deren Verhalten 1933. „Gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmten im Reichstag am Ende nur noch die Sozialdemokraten, während Konservative und Liberale ihm zur Macht verhalfen“, hat Gabriel jetzt ein Beispiel davon gegeben. Man hat es in den letzten Tagen schon öfter vernommen. Man findet das Blueprint dazu in der Jubiläumsausgabe des "Vorwärts": „Unbeugsam und mutig“, das waren viele Sozialdemokraten im Angesicht des heraufziehenden Naziterrors ohne Zweifel. Und Otto Wels‘ Rede im Reichstag zum Ermächtigungsgesetz ist ganz sicher ein bewegendes Dokument des Widerstandes.
Doch die Art, in der die SPD über ihre Rolle in den ersten Monaten der Nazidiktatur erzählt, ist eine, in der eigene Größe durch Verschweigen anderer unterstrichen werden soll. „Als einzige Partei stimmt die SPD 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz“, schreibt im Jubiläums-Vorwärts Hans-Jochen Vogel, der ehemalige Parteivorsitzende. In der historischen Selbstdarstellung auf der Website der Sozialdemokraten heißt es, „vor 75 Jahren warnte die SPD auf einsamem Posten vor den Kriegsplänen der Nazis.“ Die KPD, über deren Agieren am Ende der Weimarer Republik kritisch zu reden wäre, kommt nicht vor. Und was ist eigentlich mit der Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, jener Partei von Linkssozialisten, die sich 1931 von der SPD abgewandt hatte und eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Nazis spielte?
So entsteht zumindest ein schiefes Bild. Nicht nur, dass die KPD bei den Novemberwahlen 1932 fast fünf Millionen Stimmen erhielt und damit nicht bedeutend weniger als die SPD, ließe es doch angemessen erscheinen, ein Wort über ihre parlamentarische Nichtexistenz Ende März 1933 zu verlieren. Die 81 Mandate der Kommunisten waren schon zuvor von den Nazis suspendiert worden, auch sie hatten gegen Hitlers Aufstieg mobilisiert, gerade auch sie gehörten zum Widerstand. Das Deutsche Historische Museum in Berlin verweist zumindest darauf.
Nun ist es sicher nicht Aufgabe der SPD, die Geschichte einer anderen Partei zu reflektieren und zu würdigen. Aber indem sie sich an einer Stelle heraushebt, wird umso deutlicher bemerkbar, was in den Jubiläumsreden ausdrücklich nicht angesprochen wird: Zum Beispiel der Austritt der SPD aus der Sozialistischen Arbeiter-Internationale am 30. März 1933, die seinerzeit damit begründet wurde, die Internationale tendiere zum Kommunismus - Aufhänger war unter anderem eine Resolution der Vereinigung, die von einer „faschistischen Gewaltherrschaft“ in Deutschland sprach. Oder die Zustimmung von 65 Reichstagsabgeordneten zu einer außenpolitischen Erklärung der Hitler-Regierung am 17. Mai 1933 - und der Streit zwischen der Exil-Spitze der SPD und den in Deutschland gebliebenen Genossen. Oder das verhängnisvolle Signal, dass die Bildung eines neuen SPD-Direktoriums auf einer Reichskonferenz im Juni 1933 ohne jüdische Mitglieder aussandte - auch das gehört zur Geschichte der Sozialdemokratie und es ist nicht übertrieben zu verlangen, dass man dies in einem Jubiläumsjahr - neben vielen Verdiensten - auch zum Thema macht.
Das übrigens verlangt die SPD, durchaus zu Recht, gern und oft von jener Partei, die sich links von ihr gebildet hat: selbstkritischer Umgang mit der eigenen Geschichte. In der Jubiläumsausgabe des "Vorwärts" ist von der Linkspartei, die immerhin von einem ehemaligen SPD-Vorsitzenden geführt wurde und zumindest im Westen als Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie wuchs, als unmittelbare Reaktion auf die Politik einer SPD-geführten Regierung, nicht die Rede.
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