Nazigegner lassen nicht nach

Mehr als 3000 Teilnehmer protestieren auf einem Mahngang in Dresden gegen rechte Geschichtsfälschung

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Proteste gegen den alljährlichen Naziaufmarsch in Dresden bleiben stark: Bereits zu einem Mahngang am Nachmittag kamen gestern 3000 Menschen, mehr als vorab erwartet.

Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei: In pinkfarbenen Clownskostümen war eine Gruppe Demonstranten gestern zum »Mahngang Täterspuren« gekommen. Mit dem Gang zu Orten, an denen das NS-Regime in Dresden seine Macht etabliert hatte, begannen gestern die Proteste gegen den alljährlichen Naziaufmarsch in Sachsens Landeshauptstadt. Dieser führte seit Ende der 90er Jahre jeweils am Jahrestag der Zerstörung Dresdens Tausende Nazis in die Stadt - wo sie angeblich der Opfer in der deutschen Zivilbevölkerung gedenken wollen.

Diese einseitige »Geschichtsdarlegung hat nichts mit der Realität zu tun«, sagt Aiman Mayzek, der Chef des Zentralrats der Muslime, zu Beginn des Mahngangs. Die Veranstaltung will die Legende widerlegen, die alliierten Angriffe ab dem 13. Februar 1945 hätten mit Dresden eine unschuldige Stadt getroffen. So passierte der Demonstrationszug den ehemaligen Standort einer Kartonagenfabrik, einen von über 200 Orten, an denen Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.

Unter ihnen war die Jüdin Henny Brenner. Ihr ermöglichte ausgerechnet die Dresdner Katastrophe das Überleben: Im Chaos nach den Bombardements konnte sie untertauchen. Diese differenzierte Sicht auf die Geschichte, die unaufgeregt, aber gut informiert dem in der Stadt lange gepflegten Opfermythos widerspricht, findet zunehmend Anklang. Nachdem der Mahngang 2011 verboten worden war, kamen voriges Jahr 2500 Menschen. Diesmal waren es sogar über 3000.

Das überraschte auch insofern, als das Bündnis »Dresden nazifrei!« zum ersten Mal seit 2010 nicht mehr überregional mobilisiert hatte. Nachdem es dreimal in Folge gelungen war, den Naziaufmarsch zu blockieren oder zumindest stark zu behindern, sei es nun an der Zeit, dass die Dresdner selbst aktiv werden, hatte ein Bündnissprecher vorab erklärt. Zudem war eine geringere Teilnahme erwartet worden, weil der Protest unter der Woche stattfand.

Offenbar hielt das die Nazigegner ebenso wenig ab wie die repressive Linie der Justiz in Sachsen: Hinter dem Transparent des »Mahngangs« lief neben Politikern wie LINKE-Chefin Katja Kipping auch Lothar König, der Jenaer Jugendpfarrer, der ab 19. März wegen seiner Rolle bei den Protesten 2011 vor Gericht steht. Er gilt ebenso als »Rädelsführer« wie Tim H., der zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. In Anspielung auf das Urteil trugen viele Demonstranten Megaphone aus Pappe und Schilder mit dem Slogan »Kommt nach vorn!« Die Aussage bei den Protesten im Jahr 2011, bei denen es gewalttätigen Auseinandersetzungen gab, reichten dem Amtsrichter für ein Urteil gegen den jungen Familienvater.

Am frühen Abend sah es gestern eher so aus, als ob der Tag wie schon 2012 friedlich verlaufen würde. Die Polizei war zwar mit knapp 3000 Beamten präsent und hatte auch Wasserwerfer bereitgestellt, hielt sich aber auffällig zurück. Allerdings zeichnete sich ein brisantes Szenario ab: Die Nazis sollten offenbar am Hauptbahnhof gesammelt und dann in kleinen Gruppen zum Sachsenplatz geschickt werden, in ein Gebiet also, in dem auch viele Gegendemonstranten unterwegs waren. Dort sollte eine Kundgebung der Nazis stattfinden. Die Wahl dieses Ortes war pikant: In Sichtweite befindet sich das Gericht, in dem Tim H. verurteilt sowie die junge Ägypterin Marwa el-Sherbini von einem rassistisch motivierten Täter erstochen wurde. Nicht weit entfernt steht zudem ein Flüchtlingswohnheim.

Mit Spannung wurde auch erwartet, wie viele Teilnehmer einer von der Stadt organisierten Menschenkette sich später an Protesten in Sicht- und Hörweite oder Blockaden beteiligen würden. Die Menschenkette sollte sich 18 Uhr rund um die Innenstadt schließen. Zuvor hatte Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) vor dem Rathaus gesprochen. Sie sagte, »dass man auch mit der Menschenkette klarmacht, dass Dresden seine Straßen und Geschichte den Bürgern gehören und nicht den braunen Enkeln und Urenkeln der Brandstifter von einst.«

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