Verstrahlt in Fukushima
WHO-Studie ergibt erhöhtes Krebsrisiko für AKW-Arbeiter und Kinder
Vor allem Säuglinge und Kinder aus Fukushima müssen nach dem Nuklearunfall vor zwei Jahren mit erhöhtem Krebsrisiko leben. Zu diesem Schluss kommt die erste Studie über die globalen Auswirkungen des Unfalls, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag in Genf vorgelegt hat. »Das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, ist für Säuglinge, die zum Zeitpunkt des Vorfalls ein Jahr alt waren und in der am stärksten kontaminierten Gegend um Fukushima gelebt haben, 70 Prozent höher als üblicherweise«, sagte einer der Autoren des Berichts, Roy Shore, telefonisch aus der japanischen Stadt Hiroshima. Das absolute Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, habe sich demnach etwa für Mädchen auf 1,25 Prozent erhöht; normal sind 0,75 Prozent.
Das Leukämie-Risiko ist demnach bei zum Zeitpunkt des Unfalls einjährigen Jungen sieben Prozent höher, das von Brustkrebs bei einjährigen Mädchen um sechs Prozent höher als normalerweise. Grundlage für die Studie sind Modelle auf Grundlage früherer Nuklearunfälle etwa in Tschernobyl. »Die Bedingungen sind nicht genau die gleichen«, gesteht die WHO-Expertin Angelika Tritscher ein. »Wir haben deshalb das Risiko eher höher als niedriger veranschlagt.« Jetzt gehe es darum, Krebsfälle rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dafür ist aber nicht die WHO, sondern die japanische Regierung zuständig.
Ein höheres Krebsrisiko haben auch diejenigen, die nach dem Unfall in Fukushima geholfen haben. Dazu kommen die Beschäftigten des AKW. Wie viele der zwei Millionen Einwohner der Präfektur Fukushima konkret mit erhöhtem Krebsrisiko leben müssen, will indes niemand in der WHO sagen. »Wir wollen keine Angst schüren - die größten gesundheitlichen Probleme, die wir derzeit in Fukushima beobachten, sind psychologischer Natur«, begründet das Tritscher. Ob die errechneten Krebsraten nicht doch höher oder niedriger ausfallen, lässt sich zudem erst in Jahrzehnten sagen. Denn das Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt mit dem Alter.
Im Rest Japans oder gar der Welt muss man sich laut den Autoren keine Sorgen machen: »Außerhalb von Japan haben wir keine Dosen ermitteln können, die oberhalb der üblichen Hintergrundstrahlung liegen«, sagt Tritscher. Und selbst im Rest Japans seien Auswirkungen kaum messbar. Das liege auch an der Reaktion der oft gescholtenen Regierung, so Shore. »In Tschernobyl haben die Leute tagelang nichts von dem Unglück erfahren, haben Milch von der Kuh aus dem eigenen Garten getrunken und keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen.« Dazu kam Glück: Die Isotope, die in Fukushima austraten, sind kurzlebiger als die von Tschernobyl, und das Wetter verhinderte eine große Verbreitung.
Doch japanische Kritiker sehen Mängel am WHO-Bericht: Die zugrundeliegenden Zahlen einer japanischen Regierungsstudie sind demzufolge fragwürdig. Nur ein Viertel der Bewohner soll teilgenommen haben. Vorwürfe, die japanische Regierung habe sich zudem aktiv in das Verfassen der WHO-Studie eingemischt und deren Erscheinen verzögert, wies die zuständige WHO-Direktorin Maria Neira zurück. »Es hat keinerlei Einflussnahme gegeben, die Studie ist nur deshalb erst zwei Monate später erschienen, weil die Wissenschaftler mehr Zeit gebraucht haben.« Nach Neiras Worten ist auch die Internationalen Atomenergiebehörde nicht an der Studie beteiligt gewesen.
Greenpeace warf der WHO vor, die Strahlendosis nicht hinreichend ermittelt zu haben, der die Menschen ausgesetzt worden gewesen seien. Strahlenexpertin Rianne Teule sagte, der Bericht sei »ein politisches Statement zum Schutz der Atomindustrie«.
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