Der Tod von Hugo Chávez und die deutsche Linke
Gemessen an dem, was in Venezuela nun politisch an Herausforderungen ansteht, sind die Reaktionen in hiesigen linken Kreisen auf die Nachricht des Todes von Hugo Chávez wahrscheinlich ziemlich nebensächlich. Aber was man da in den vergangenen Stunden zum Beispiel in sozialen Netzwerken lesen konnte, ist für uns hier trotzdem wichtig - und es zeigt noch einmal, wie sehr die Entwicklungen im Lateinamerika zum Ankerpunkt linker Selbstpositionierung geworden sind. Wenn sie es nicht immer schon waren für eine deutsche Linke, die in der Region stets mehr als bloß einen Horizont am Himmel globaler Auseinandersetzungen sah.
Chávez ist gestorben, eine Symbolfigur der Linken - sowohl für jene, die nun demonstrativ mit den Schultern zucken, um kritische Distanz zu bezeugen, als auch für die, denen jetzt kein Pathos zu übertrieben erscheint, um seinen Namen unsterblich werden zu lassen und »die Revolution zu verteidigen«. Es sind nicht selten Bilder mit dicken Strichen und wenig Schattierungen, die da aus einer Welle der Aufmerksamkeit herausragen, schnell und heftig kommentiert mit ebenso viel grobem Schwarz-Weiß.
Der „Comandante“, der Irans Machthaber Achmadinedschad umarmt, der sich mit Despoten trifft und auf der internationalen Bühne mit dem Holzhammer umso vehementer voranschritt, je schwieriger es für ihn wurde, zu Hause die politische Zustimmung zu sichern. Chávez, der seinen paternalistischen Sozialismus auf Öl baute, ausgerechnet den Schmierstoff des westlichen Kapitalismus.
In etwa so klingt in diesen Stunden die eine Melodie der Reaktionen auf den Tod von Chávez. Ihr kritischer Impetus hat freilich mehr mit der Geschichte der deutschen Linken zu tun als mit dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Allzu oft in der Vergangenheit war das Band symbolischer Solidarität stärker als die Fähigkeit zur skeptischen Sicht auf die Veränderungen der Welt. Zumal, wenn es um Lateinamerika geht; zumal, wenn dort die sozialen Grundrechte über Freiheitsrechte gestellt werden; zumal, wenn sich in den internationalen Beziehungen der Länder dort - Venezuela, Kuba, Bolivien und andere - die weltpolitische Konstellation wie in einem Brennglas bündelt und zu Vereinfachungen einlädt: der Imperialismus der USA hier, die um Fortschritt ringenden Völker dort.
Indem sie aber ihre eigene Sicht auf den »Comandante« an eben diesem Raster ausrichtet, bleibt auch die chávezkritische Linke hierzulande allzu oft gefangen in jener altlinken Grammatik, die sie eigentlich zurückweisen. Statt eine Weltsicht mit Zurückhaltung zu beobachten, die in Lagern einer weltpolitischen Vergangenheit denkt und sich neuen Einsichten verschließt, statt es skeptisch zu begleiten, wenn reale politische Prozesse allzu knitterfrei in die Schablonen früherer Zeiten passen, kommt nicht selten bloß eine umgekehrte Methode der Vereinfachung zur Anwendung - ein Spiegelbild zur mitunter kritiklosen Chávez-Verehrung der anderen Seite in der deutschen Linken.
In dieser Sicht ist der „Soldat des Volkes“ zu einer Größe gewachsen, die jeden Maßstab verloren hat, die reale Fortschritte zu einer historischen Dimension überhöht, die zu kritisieren dann immer auch bedeuten muss: sich auf die andere Seite der revolutionären Blockade zu begeben. So verständlich es ja sein mag, wenn in Zeiten der Schwäche europäischer Linker die Sehnsucht nach Symbolfiguren groß ist; so irritierend war es auch in den vergangenen Jahren immer wieder, wenn ein kritisches Wort über Venezuela und die Politik von Chávez mit dem Hinweis abgeblockt wurde, man müsse doch zuerst die großen Linien sehen und dürfe „um der Sache willen“ den Protagonisten nicht in den Rücken fallen.
Wirkliche Solidarität hat es ebenso schwer, wenn diese Melodie zu laut wird. Selbstverständlich hat Chávez in den Jahren seiner Regierung Veränderungen in Venezuela und ganz Lateinamerika angestoßen, die seit langem ohne Beispiel sind. In seiner Amtszeit als Präsident hat sich die soziale Lage von Hunderttausenden auf eine Weise verbessert, von denen niemand glauben darf, sie wären auch „durch die Kraft des Marktes“ möglich gewesen. Er hat Menschen eine Stimme gegeben, denen diese Jahrhunderte lang verweigert worden war. Und er hat manchen international Mächtigen die Stirn geboten.
Man muss das eine sagen dürfen, ohne immer gleich noch zu der Versicherung verpflichtet zu sein, dass man das andere nicht vergessen hat. Wer die Ausbeutung des Bodens auf Kosten von Natur und Indigenen kritisiert, will doch nicht automatisch unterschlagen, dass es in Venezuela Ansätze zu einer neuen Basisdemokratie gibt, die ihresgleichen in der Welt suchen. Wer die internationalen Irrlichtereien des „Comandante“ als solche kritisch benennt, muss damit nicht gleich auch die innenpolitische Erfolge meinen. Und wer aus eigener Erfahrung Widerspruch am Personenkult um Chávez erhebt, dem ist doch zuzutrauen, dass ihm zu Sozial- und Bildungsreformen sowie zum Ausbau des Gesundheitssystems anderes einfällt.
Der Tod von Chávez ist so gesehen auch eine kleine Herausforderung für die deutsche Linke. Zu lernen, dass es Solidarität ohne Kritik die diese Bezeichnung verdient gar nicht geben kann, dass es immer zuerst die Menschen sind und nicht ihre Führungsfiguren, um die es geht - und dass große Frauen und Männer trotzdem oft eine wichtige Rolle spielen. Die Herausforderungen in Venezuela, in ganz Lateinamerika werden jetzt nicht geringer; und man wird ihrer Lösung von hier aus dem vergleichsweise gemütlichen „Westen“ weder dadurch helfen, indem man immer nur den falschen Populismus rügt noch dadurch, dass man jede Regung, die sich sozialistischer Rhetorik bedient, zur globalen Avantgarde der Veränderung überhöht.
Chávez gerecht zu werden heißt, die Widersprüche auszuhalten, die einem entgegenschlagen, wenn man genauer auf Venezuela und ganz Lateinamerika blickt. Und es heißt, wenigstens zu versuchen, das ganze Bild in den Blick zu nehmen. Die Wirklichkeit liegt zwischen den Zuschreibungen, die seit dem späten Dienstagabend Ticker und Internet dominieren. Chávez war weder bloß der revolutionäre »Volkstribun« noch ist das Wort vom »Quasi-Diktator« richtig. Und die deutsche Linke mit ihrer von der Auseinandersetzung über eigene historischen Fehler geprägten Diskussionskultur ist nicht der Nabel der Welt. Man kann beides: sich auch das zu gegenwärtigen und dem „Comandante“ gedenken.
„Die Bevölkerung in den USA hat einen Freund verloren“, kommentierte der US-Schauspieler Sean Penn den Tod von Hugo Chávez. Einen Freund, „von dem sie nicht wusste, dass es ihn gibt.“ Ein Satz, über den nachzudenken sich lohnt.
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