Lateinamerika trauert um Chávez
Beileidsbekundungen kommen aus der ganzen Region / USA verweigern Kondolenz
Welche Bedeutung Lateinamerika und die Karibik Hugo Chávez beimessen, lässt sich nicht nur an der Welle der von dort eingehenden Beileidsbekundungen erkennen. Ein halbes Dutzend Staaten der Region rief am Tag nach dem Ableben des 58-jährigen Anführers der Bolivarischen Revolution Staatstrauer aus - ein einmaliges Ereignis. Sogar die rechtskonservative Regierung Chiles schloss sich an und lässt die Fahnen bis zum Wochenende auf Halbmast. Eine dreitägige Staatstrauer verkündeten zudem Kuba, Ecuador und Argentinien. Boliviens Präsident Evo Morales kündigte eine wie in Venezuela sieben Tage währende Trauerzeit an. Über die politischen Lagergrenzen hinweg würdigten die Staats- und Regierungschefs der Region am Mittwoch die Rolle des »Comandante«.
In Lateinamerika ist jedem die Leistung des einstigen Militärs für die politische und wirtschaftliche Integrationsbewegung des Subkontinents bewusst. 2004 rief Chávez zusammen mit seinem kubanischen Amtskollegen Fidel Castro die »Bolivarische Alternative für Amerika« (ALBA) ins Leben. Später wurde der lange belächelte Staatenbund in »Bolivarische Allianz« umbenannt. Acht Länder und sechs Beobachter gehören ihm heute an, weitere Allianzen wie die CELAC (Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik) kamen hinzu. Chávez kämpfte gegen alle Widerstände für die Zusammenarbeit des »Großen Vaterlandes«, wie er Lateinamerika und die Karibik zu nennen pflegte. Die Anlehnung an den Diskurs der antikolonialen Befreiungskämpfer des 19. Jahrhunderts brachte ihm in der Region viel Bewunderung und in den Industriestaaten Spott ein. Doch vielen Spöttern fehlte schlicht das historische Verständnis.
Die Wertschätzung für Chávez, dessen Revolution in Venezuela mit einem Volksaufstand im Jahr 1989 und damit parallel zur kapitalistischen Restauration in Europa begann, gibt westlichen Beobachtern die Chance zur kritischen Reflexion. Dies gilt umso mehr angesichts der Reaktion aus Washington: Die Obama-Regierung verweigerte Venezuelas Staatsführung und der Familie des Toten ihre Kondolenz.
Die deutlichsten ehrenden Worte fand Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff: Hugo Chávez hinterlasse »eine Leere in den Herzen, in der Geschichte und in den Kämpfen Lateinamerikas«. Der Tod von Chávez - den Rousseff ausdrücklich als ihren und Brasiliens Freund bezeichnete - sei ein »irreparabler Verlust«. Selbst der Präsident des brasilianischen Senats, Renan Calheiros von der sozialliberalen PMDB, rief die Abgeordneten in Brasília zu einer Schweigeminute auf.
Für Aufsehen sorgte die Reaktion des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera. Der ehemalige Anhänger der Pinochet-Diktatur erwähnte zwar die politischen Differenzen mit dem Verstorbenen. Er habe aber immer Chávez' Kraft und Engagement im Kampf für seine Ideale bewundert. Als Chávez zuletzt im vergangenen Dezember zu seiner vierten Krebs-Operation nach Kuba aufbrach, an deren Folgen er nun gestorben ist, habe er mit ihm telefoniert, so Piñera. »Dabei sagte er mir, dass er, wenn er einmal sterbe, in seinem Vaterland, seinem geliebten Venezuela, sein wolle.«
Uruguays Präsident José Mujica sprach in seiner ersten Reaktion von »dem Verlust eines Freundes«. Er hoffe, dass das venezolanische Volk nun die bestehenden Differenzen überwindet. Das uruguayische Außenministerium zeigte sich in einem Kommuniqué davon überzeugt, dass »das Erbe und der von Hugo Chávez ausgebrachte Samen der Einheit von den Völkern Lateinamerikas bewahrt wird« - das Beispiel Chávez’ lebe weiter.
Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos erkannte Chávez’ Einsatz für einen dauerhaften Frieden mit der Guerilla an. Die beste Würdigung des Verstorbenen bestehe darin, die laufenden Friedensverhandlungen mit den FARC-Rebellen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
Kubas Nationalrat ehrte Chávez als »Sohn Kubas«. Chávez habe Kuba stets »Stütze, Atem und Glaube« geboten. »In guten Zeiten hat er mit uns gelacht und in schlechten Zeiten war er unser optimistischer Begleiter«.
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