»Moooment!« - »Die Ente bleibt draußen«

In Brandenburg an der Havel kann man jetzt auf den Spuren ihres größten Sohnes wandeln

  • Cornelia Höhling
  • Lesedauer: 5 Min.

Er sitzt zwar nicht in der Badewanne, aber auf einer Bank. Kein Zweifel, es ist Herr Müller-Lüdenscheidt. Aufmerksame Besucher finden das Knollennasenmännchen in Brandenburg an der Havel. Nicht von ungefähr hat es in der einstigen Hansestadt mit über 1000-jähriger Geschichte seinen Platz. Die Holzfigur ist eine Hommage an ihren Schöpfer Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, der hier 1923 geboren wurde. Weil das Stadtgebiet zu einem Fünftel aus Wasserflächen besteht, trägt Brandenburg den Beinamen »Stadt im Fluss« und ist damit auch eine Art Badewanne. Aber: »Die Ente bleibt draußen«, schrieb Loriot 2009 als letzten Gruß ins Gästebuch der Stadt.

Ganz im Geiste des 2011 verstorbenen Karikaturisten und Humoristen lässt sich die Stadt neuerdings auf »Loriots Weg« kurzweilig erschließen. Er verbindet Lebens- und Wirkungsstätten des vielseitigen Künstlers, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte. Mit einem Leitfaden in der Hand kann der Besucher auf Spurensuche gehen. Die Ausstellung »Moooment!« im Bürgerhaus Altstadt widmet sich mit rotem Sofa und Plüschteddy dem Menschen Loriot, seinem Humor und seiner Kunst aus einer neuen Perspektive. Als ältestes Fachwerkhaus der Mark Brandenburg sei dies ein würdiger Ort, um die Erinnerung an den großen Sohn der Stadt und seine tiefe Bindung an Brandenburg/Havel wach zu halten, ist sich Kurator Wulf Holtmann sicher.

Brandenburg war 300 Jahre Garnisonsstadt. So steht am Anfang des Rundweges - wie kann es anders sein - die ehemalige Infanteriekaserne. »Als ersten verbürgten Eindruck meines Lebens empfing ich den Blick auf eine rötliche Kasernenwand«, erinnerte sich Loriot, Sohn des Polizeileutnants von Bülow, und »lernte quasi den aufrechten Gang an der Kasernenwand«.

Die Strampelhose des »ungewöhnlich teuren Brandenburger Säuglings« hatte stolze 480 Milliarden Mark gekostet, erzählt Holtmann. Der Preis sei am Ende der Inflation auf 3,50 Mark gefallen, »was sich günstig auf meinen Charakter ausgewirkt hat«, bemerkte Loriot. Sein Taufkleid wurde im einst renommierten Kaufhaus Flakowski erworben. Das Gebäude passiert man auf dem Weg zur Jahrtausendbrücke, die Alt- und Neustadt verbindet. Beide Städte wurden um 1200 mit eigenen Rathäusern gegründet und 1715 vereinigt. Wenige Schritte weiter am Salzhofufer befand sich mit dem Schöppenstuhl der Sitz oberster Gerichtsbarkeit. Um keinen zu übervorteilen, trafen sich die Ratsherren von Alt- und Neustadt mitten auf der Havel, sozusagen auf neutralem Boden, und sprachen Recht in der Mark Brandenburg. Heute starten hier die Schiffsrundfahrten und die Havel-Flöße, und kein Geringerer als Müller-Lüdenscheidt schaut von seiner Bank aus dem Treiben zu.

Auch am Altstädtischen Markt mit dem Roland von 1474 sitzt unübersehbar eine Knollennase und fühlt sich vermutlich ganz klein neben der 5,34 m großen Sandsteinfigur. Im Ratssaal erhielt Loriot 1993 die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Er kommentierte die Ehrung, damit dürfe er nun bei Rot über die Kreuzung fahren, ganztägig im Halteverbot parken und Müll auf öffentlichen Grünflächen abladen. Da Vicco von Bülow nur seine ersten drei Lebensjahre in Brandenburg verbrachte, ist es nicht verwunderlich, dass es bei den authentischen Loriot-Stätten große zeitliche Sprünge gibt.

Neben Alt- und Neustadt hat Brandenburg einen dritten historischen Stadtkern - die Dominsel. Wie eine Lebensader verbindet die Havel samt Nebenarmen, Gräben und Kanälen die drei Inselstädte. Der von 58 Brücken überspannte Fluss schlängelt sich an über 400 historischen Baudenkmälern vorbei. Dazu gehört die St. Gotthardtkirche, in der Loriot getauft wurde. Sie ist gleichermaßen der letzte Ort, den er in Brandenburg besuchte.

Loriot wäre nicht Loriot, wenn er nicht später bedauert hätte, nicht mit seiner »ersten Liebe« angebandelt zu haben. Es war der 30. Dezember 1923, als er »die Gunst der Stunde missachtete«. Denn auf dem Weg zur Taufe lag er bei einem Mädchen im Kinderwagen. Dabei handelte es sich um einen Wagen der Marke »Brennabor«, wie in der Ausstellung zu sehen ist. Die 1871 in Brandenburg gegründete Firma baute zunächst Kinderwagen, dann Fahrräder und schließlich Autos und Motorräder. In den 1920er Jahren war sie größter Autohersteller Deutschlands.

Auf der Dominsel finden Kulturinteressierte mit dem über 800 Jahre alten Backstein-Dom - ebenfalls Station des Rundweges - und der gotischen Petrikapelle den ältesten Siedlungskern. Hier entstand 948 das erste Bistum östlich der Elbe. Brandenburg ist auch die Wiege der 1157 von Albrecht dem Bären gegründeten gleichnamigen Mark und damit Kernland des späteren Preußen sowie Namensgeber des heutigen Bundeslandes Brandenburg.

Erst am 18. Mai 1985 kam Vicco von Bülow - längst berühmt - anlässlich einer Ausstellung im Dom wieder in die Stadt seiner frühen Kindheit. Zur Eröffnung bedankte er sich, dass sie ihn wie »einen nicht verlorenen Sohn aufgenommen« habe. Und er dankte »dem lieben Gott und seinen Stellvertretern in Ostberlin«. Die Einladung in der Zeit des Kalten Krieges hatte die Leiterin des Dommuseums mit dem damaligen Dompfarrer initiiert. 1400 Besucher aus dem ganzen Land nahmen diese erste Loriot-Ausstellung in der DDR mit 80 Originalzeichnungen, Büchern, Leporellos, Bildern und Fotos auf der Dominsel begeistert auf. Loriot wurde allerdings nur eine Redezeit von fünf Minuten zugestanden. Seine berühmte »Bundestagsrede« aus nichtssagenden Floskeln entstand.

Mit Hilfe der Vicco-von-Bülow-Stiftung wurde später unter anderem der Domturm saniert. Den Grundstein für die Stiftung legte der Künstler 1991 im Brandenburger Theater in der Neustadt mit einem Benefizkonzert. Der Gesamterlös sollte im sozialen oder kulturellen Bereich verwendet werden, wo Not ist. Loriot befürchtete, dass »alles kaputt saniert« werde, denn mit der Wende sei »die Stunde der Profiteure« gekommen.

Auch das Gebäude der ehemaligen DDR-Staatsbank und vormals Reichsbank am Neustädter Markt, nunmehr Commerzbank, liegt am Loriotweg. Als die Bank 1996 mit einer Loriot-Ausstellung eröffnete, bemerkte der anwesende Künstler trocken: »Wir stehen hier in einer Bank. Normalerweise sitzen wir auf einer Bank. Hier sitzt die Bank auf unserem Geld.«

  • Infos: Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft Brandenburg an der Havel, Neustädtischer Markt 3, 14776 Brandenburg an der Havel, Tel.: (03381) 7963-60, Fax: -74, E-Mail: touristinfo@stg-brandenburg.de, www.Stadt-Brandenburg.de, www.stg-brandenburg.de
  • Brandenburg an der Havel ist auf der ITB in Halle 12 zu finden
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.