Kein Stellvertreterkrieg in Rom

Papst Franziskus soll der Kirche ein neues Image verschaffen und die alte Linie fortsetzen

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Papsttum dürfte die einzige Institution sein, die den rauchenden Schornstein als Erfolgsfanal bewahrt hat. Diesmal signalisierte er die Botschaft der Neuprofilierung Roms.

Das Prozedere erinnerte an E-Bay: Wenn bei Auktionen auf der Internetplattform der Meistbietende zurücktritt, gilt automatisch das Angebot des Zweitplatzierten. Jorge Mario Bergoglio war beim Konklave 2005 dem schließlichen Sieger Joseph Ratzinger am dichtesten auf den Purpur gerückt.

Glücklicherweise ist dieses Votum noch nicht allzu lange her, so dass trotz inzwischen fortgeschrittenen Alters der argentinische Kandidat nach der Demission des deutschen Papstes zur Verfügung stand. Der vormals Zweitbeste war nun gut genug, um der unkomfortablen Internierung der klerikalen Gerontokratie ein schnelles Ende zu bereiten: Mit (mindestens) Zweidrittelmehrheit stimmten die 115 Kardinäle im fünften Wahlgang für den Erzbischof von Buenos Aires.

Was wohl zu einem Großteil der Bequemlichkeit alter Männer geschuldet war, wurde nach Präsentation des neuen Oberprälaten von den Medien umgehend als Sensation durch die Kommunikationskanäle gejagt: Der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri! Der erste Jesuit! Gar noch ein »Kardinal der Armen«! Und der Name erst: Franziskus! Ein Programm! Der Wende, des Wechsels, des Wandels! Mit einem Wort: Wahnsinn! - Ein Wahnsinn, der durchaus Methode hat. Denn die wichtigste Botschaft der römischen Kirche, die es der Welt nach Benedikts paralytischem Pontifikat zu vermitteln galt, war: Wir bewegen uns! Trägheit, die siebte Todsünde, ficht uns nicht an!

Da galt es den Wahlmännern in der Sixtinischen Kapelle offenbar als Petitesse, dass der Glanz ihres neuen Sterns getrübt ist von Vorwürfen, die zurückreichen in die Zeit der argentinischen Militärdiktatur 1976 bis 1983. Als Vorsteher des Jesuitenordens in dem südamerikanischen Land soll Bergoglio damals nicht nur wenig Verständnis für Widerstandsbestrebungen innerhalb seines Ordens gezeigt haben, sondern auch in Übergriffe der Machthaber verwickelt gewesen sein.

Es gab Beschuldigungen und Anzeigen, aber keine Anklage. Die Unschuldsvermutung gilt selbstredend auch für den heute 76-jährigen Ordensmann. Aber: Es ist eben eine Vermutung. Und einen solchen Mann zum Papst zu wählen, zeugt nicht gerade von Sensibilität für historische Tragödien. Ein weiterer Papst, bei dem sich die Debatte vornehmlich darum dreht, ob und warum er wann geschwiegen hat, ist bei den Sixtina-Sessionen wohl nicht als Warnbild aufgeschienen. Was nicht verwundert. Hatten die Una Sancta und ihre oberste Führung doch nie Probleme mit der Nähe zu Diktaturen. Man muss dazu nicht bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der nazistisch-faschistischen Regime zurückgehen. Die Lektionen, die Johannes Paul II. Lateinamerika diesbezüglich lehrte, liegen keine dreißig Jahre zurück. Während er in Nicaragua den Befreiungstheologen und damaligen Kulturminister Ernesto Cardenal öffentlich maßregelte, betete er in Chile gemeinsam mit General Augusto Pinochet. Karol Wojtyla hatte auch kein Hehl daraus gemacht, dass er die Diktatur in Chile mit Tausenden Toten und Verschwundenen für weniger unheilvoll hielt als die KP-Herrschaft in seiner Heimat Polen.

Was Bergoglio angeht, dürfte er mit seiner strikt auf das Religiöse ausgerichteten Amtsauffassung auch jene Meinungsträger überzeugt haben, die bei einem lateinamerikanischen Papst zu viele Vorbehalte oder zu große Fügsamkeit gegenüber den USA befürchteten. Präsident Barack Obamas Mitteilung, er freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Pontifex, ist zweifellos glaubhaft. Zumal die Befreiungstheologie, bevorzugtes jahrzehntelanges Angriffsziel Joseph Ratzingers, nie zu den Intentionen Bergoglios gehörte. Der Religionswissenschaftler Hubertus Mynarek verwies gegenüber »nd« auf dessen jesuitische Sozialisierung, deren »zentrales Kriterium« die kritiklose Unterwerfung unter den Willen des Papstes sei.

Evangelikale Kirchen aus den USA werden es künftig schwerer haben, in ihrem lateinamerikanischen Operationsgebiet Proselyten zu rekrutieren. Dort lebt rund die Hälfte aller Katholiken.

Da der Sohn italienischer Einwanderer nicht nur de facto, sondern auch de jure zugleich Italiener ist (mit doppelter Staatsbürgerschaft), wird zudem das Ego derer gestreichelt, die auf Wiederherstellung der jahrhundertelangen italienisch geprägten Papstabfolge gehofft hatten.

Der wichtigste, mit dem Votum im Vatikan ersehnte PR-Effekt griff bereits, als der frisch gewählte Oberhirte am Mittwochabend in schlichtem Weiß vor die Menge trat und zunächst in stillem Gebet verharrte: Demut und Bescheidenheit. Was auch Ratzinger versuchte und was bei ihm in Pannen, Pleiten und Skandalen mündete, soll nun als neue und notwendige Corporate Identity etabliert werden. Hervorgehoben wird Bergoglios Einsatz für Arme, Kranke und und sozial Benachteiligte.

Dass er als erster Papst den Namen des heiligen Franziskus von Assisi (1181/82-1226) annahm, gibt seinem Pontifikat das perfekte Markenzeichen einer nachgerade - Achtung, Häresie! - »kopernikanischen Wende«.

»Die Größe des heiligen Franziskus bestand darin, dass er die Armen mit den Augen der Armen sehen konnte, was ihm entsprechend ermöglichte, auch ihren Wert zu erkennen.« Ein Satz des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff, dem wohl weder Bergoglio noch Ratzinger widersprechen würden. Allerdings wird dem neuen Franziskus inmitten des höfischen Gepränges und karrieregeilen Gewimmels von Laudatoren und Lakaien das Sehen »mit den Augen der Armen« wohl nicht gerade leicht werden.

Der heilige Franziskus gilt indes auch als Schutzpatron anderer Mitgeschöpfe. Der in Kapstadt lebende evangelische Theologe Michael Skriver sagte »nd«: Es ist an der Zeit, dass das Oberhaupt von 1,2 Milliarden katholischen Christen endlich auch für jene Wesen Gerechtigkeit einfordert, die als Geschöpfe Gottes tagtäglich millionenfachem Leid und Elend ausgeliefert sind: die Tiere.» Ob er dafür den von Ratzinger als Glaubenspräfekt neu edierten Katechismus ändern wird? Dieser postuliert, dass sich der Mensch der Tiere «bedienen» dürfe. So ist noch immer der Titel des bekanntesten Buches von Skrivers Vater, dem Theologen Carl Anders Skriver, aktuell: «Der Verrat der Kirchen an den Tieren». Immerhin hatte sich just zu der Zeit, als vermutlich der entscheidende Wahlgang lief, eine Möwe auf der Abdeckung des aufs Dach der Sixtina montierten Schornsteins niedergelassen. Das Tier verharrte minutenlang und erleichterte sich dann. Ein Omen?«

Mit der Inthronisierung von Kardinal Jorge Mario Bergoglio dürfte vor allem der Wille verbunden sein, das seit Jahren gleichsam steuerlose Schlingern des Kirchenschiffs durch einen stabilen Kurs zu beenden. Dazu gehört vor allem, die von Skandalen gebeutelte Kurie sowie das von Vorwürfen verbeulte Image der Vatikanbank in den Griff zu bekommen. Dass der bisherige Erzbischof der argentinischen Hauptstadt ein Mann von »draußen« und zugleich ein gestandener Administrator ist, könnte zumindest in diesen Fragen Erfolge bringen. Dass er nach der ausgedehnten Ära Wojtyla mit ihrem Ratzinger-Appendix eine wirkliche Zäsur setzt und der kranken Kirche Heilung bringt, dass also aus der Wahltat auch eine Wohltat wird, gehört gewiss zu den besonders frommen Wünschen. Doch während sich der kalte Rauch über der Sixtina rasch verflüchtigte, sind die dogmatischen Kirchenpfeiler fest eingerammt. Franziskus' bisherige theologische Äußerungen lassen jedenfalls auf keine künftige Revolution schließen. Da kann der Ex getrost in seiner Nachbarschaft bleiben. Einen Stellvertreterkrieg wird es nicht geben.

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