In Bayern gibt es die meisten Schusswaffen
Opposition will mehr unangemeldete Kontrollen
Kriminalhauptkommissar Hans-Jürgen Stetter kennt sie alle: Die Langwaffen und die Kurzwaffen, die Colts und die Vorderlader, die Kleinkalibergewehre und die Jagdstutzen. Er greift in einen Container und nimmt eine dieser Waffen in die Hand, eine Flinte aus italienischer Produktion, eine »Franchi« mit der Fertigungsnummer 25 444, hergestellt im lombardischen Brescia. Diese Flinte wird den Weg der meisten Waffen hier unten in der »Waffenverwertungsstelle« des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) gehen: Sie wird zerlegt, die Holz- und die Metallteile werden getrennt.
Einmal im Monat gehen zwei Behälter mit je 500 Kilogramm Eisen und Stahl aus den zerlegten Waffen vom Münchner LKA nach Augsburg, um dort eingeschmolzen zu werden. Rund 2500 Revolver und Gewehre demontieren und entsorgen Kommissar Stetter und seine vier Kollegen so jeden Monat. In Bayern sind derzeit rund 1,15 Millionen Schusswaffen registriert, mehr als in allen anderen Bundesländern. Der Freistaat ist also ein bisschen das deutsche Texas, freilich auch mit rückläufigen Zahlen.
Sie liegen da in einer grauen Plastikkiste, jede Menge Handfeuerwaffen allen Kalibers und Fa-brikats. »Die Waffen werden uns hier von den Kreisverwaltungsämtern, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei angeliefert«, erklärt Dieter Stiefel, der Leiter der Waffenverwertungsstelle. Der erste Schritt seiner Mitarbeiter ist, zu klären, ob denn in den Schusswaffen noch Munition vorhanden ist, eine Frage der Sicherheit.
Es riecht nach Waffenöl und Metall hier unten in den Räumen der Waffenverwertungsstelle. Gearbeitet wird an Werkbänken, in Metallkisten steht der Nachschub bereit, ragen die Gewehrkolben empor. An den Wänden hängen Nachbauten von Waffen als Demonstrationsobjekte. In einer Ecke steht ein ziemliches Ungetüm, ein wassergekühltes Maschinengewehr MG 08 von 1918, ein Museumsstück. Ansonsten sind Kriegswaffen hier eher die Ausnahme.
Doch meist geht es um legale Waffen in Privatbesitz. »Manche erben ein Kleinkalibergewehr mit einem Zeitwert von 20 Euro und müssten sich dann dafür einen Waffenschrank für 250 Euro anschaffen«, erläutert Abteilungsleiter Stiefel. Oft geben die Erben dann die Waffe bei den Behörden ab. Aber es gibt auch andere Besitzer. Im Herbst 2012 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen einen Münchner Mediziner, es ging um Unregelmäßigkeiten. Doch als die Polizisten zusammen mit dem Gesundheitsamt die Praxis und die Privaträume des Mannes durchsuchten, staunten sie nicht schlecht. Denn der 66-Jährige hatte im Keller rund 400 Schusswaffen plus Munition gehortet, nur 259 davon waren angemeldet. Einige Tage später wurde ein weiteres Versteck mit 300 Waffen entdeckt, darunter vollautomatische Gewehre, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Der Mediziner begründete dieses Arsenal mit seiner Sammelleidenschaft.
288 057 Waffenbesitzer waren zum Stichtag 31. Dezember 2012 in Bayern registriert, 7000 weniger als 2010. Die Zahl der registrierten Schusswaffen hatte sich um 50 000 auf 1,15 Millionen reduziert. 2009 waren noch 1,42 Millionen Waffen und 367 000 Besitzer gezählt worden. Deutschlandweit befinden sich 5,5 Millionen legale Schusswaffen im Besitz von 1,2 Millionen Personen, in Bayern ist der Anteil von Waffenbesitzern leicht überproportional. Zu ihnen gehören die Jäger, die Sammler und auch die Sportschützen.
So zählt der Bayerische Sportschützenverbund rund 470 000 Mitglieder in 4680 Vereinen. Ihr Waffenpotenzial ist es, das immer wieder Gegenstand kontroverser Debatten wird. Anlass dafür sind vor allem Ereignisse wie der Amoklauf eines 17-jährigen Schülers 2009 im baden-württembergischen Winnenden, bei dem er 15 Menschen mit Sportwaffen seines Vaters tötete.
Der Amoklauf von Winnenden führte zu einer Verschärfung des Waffenrechts. Und nach Einschätzung der Behörden wird die Zahl der Waffenbesitzer künftig auch weiter zurückgehen. Dennoch: Mit Blick auf die bayerische Waffenstatistik drängen die Grünen nach wie vor auf ein Verbot großkalibriger Waffen für Sportschützen und fordern die Aufbewahrung der Waffen außerhalb des privaten Haushalts sowie die getrennte Aufbewahrung von Munition und Waffe. Die innenpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen, Susanna Tausendfreund, spricht ebenso wie die SPD von Regelungsdefiziten im bayerischen Waffenrecht.
»Wünschenswerter wären auch mehr und vor allem unangemeldete Kontrollen durch die Landratsämter und kreisfreien Städte«, so Tausendfreund. Da den Waffenbehörden hierzu allerdings die personellen und finanziellen Mittel fehlten, sei Unterstützung seitens des Freistaats gefordert. Die Zahl von 1000 Beanstandungen bei 2300 Kontrollen in den Jahren 2009 und 2010 zeige, »dass hier dringender Handlungsbedarf besteht«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.