Der anhaltende Krieg gegen Irak

Eine zehnjährige Bilanz Von Hikmat al-Sabty

  • Hikmat al-Sabty
  • Lesedauer: 4 Min.

Rückblick:

Das UNO-Embargo von August 1990 bis Mai 2003 ruinierte die Infrastruktur, das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen. Dieses Embargo war ein schreckliches Instrument der Rache. Beispiele dafür sind die Blockade Deutschlands am Ende des ersten Weltkriegs 1918, die Sanktionen gegen das Apartheidregimes in Südafrika, Vietnam, Iran, Syrien und die israelische Blockade gegen Gaza. Das Embargo wurde unter der Verantwortung der Vereinten Nationen auf Betreiben der USA und Großbritanniens gegen die irakische Bevölkerung mit gnadenloser Härte durchgeführt. Das Ziel, das irakische Militär zu zerschlagen, wurde nach dem Rückzug der irakischen Streitkräfte aus dem besetzten Kuwait im Jahr 1991 erreicht. Irak konnte seine militärische Stärke nie wieder zurückerlangen.

Insbesondere die von den US-Truppen geführte Invasion im Jahr 2003 hat dafür gesorgt, dass Irak ein unregierbares, religiös und ethnisch gespaltenes Land wurde.

Letzten Endes hat das UNO-Embargo sich als schrecklicher und politisch völlig falscher Weg in der Auseinandersetzung mit der Diktatur Saddam Husseins erwiesen. Die Folgen des Irak-Embargos werden von Washington und London nach wie vor verharmlost wie zum Beispiel der Tod einer halben Million irakischer Kinder. Diese Auswirkungen hat Joy Gordon in ihrem Buch „Der unsichtbare Krieg“ geschildert.

Die Wirtschaft Iraks wurde weiter stranguliert, indem behauptet wurde, dass Irak angeblich über chemische, biologische und atomare Waffen verfüge, obwohl die Inspektoren seit 1991 das Land kreuz und quer nach Massenvernichtungswaffen durchsucht haben.

Irak heute

Die von den USA geführte Koalition hat im Jahr 2003 die irakische Infra- und Sozialstruktur sowie seine Stabilität völlig zerstört und das Land besetzt. Anhaltende Terroranschläge bestimmen den Alltag. Es fehlt an Strom, einem allgemein zugänglichen Gesundheitssystem, sauberem Wasser, bezahlbarem Wohnraum. Das Bildungssystem ist zerschlagen. Die Krankenhäuser sind konfessionell gespalten. Die Korruption und die Arbeitslosigkeit (derzeit ca. 75 Prozent) werden von der Regierung nicht bekämpft.

32% der Kinder unter 18 Jahren (ca. 5,4 Millionen) haben keinen genügenden Zugang zu Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung. Dies zeigte eine Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, die feststellte, dass nur zehn Prozent dieser Altersgruppe ausreichend versorgt sind.

Ca. 36.000 Kinder sterben jährlich im ersten Lebensjahr. 25 Prozent der oben genannten Altersgruppe entwickeln sich geistig und körperlich sehr schlecht wegen der Unterernährung. Auch der Alltag an irakischen Schulen wird teilweise von Gewalt bestimmt. Disziplinierungsmaßnahmen sind an der Tagesordnung, so die Ergebnisse der UNICEF–Studie.

Zehntausende Iraker waren nach der US-Invasion 2003 vor der Gewalt im Land nach Syrien und in EU-Staaten geflohen. Es sind die Nichtmoslems (Christen, Mandäer, Chaldäer, Yeziden, Assyrer), Künstler, Andersdenkende, Homosexuelle, Offiziere, Ärzte, Journalisten und viele emanzipierte Frauen, die davon besonders betroffen sind.

Eine ganze Generation von jungen Irakern ist ohne Bildung aufgewachsen und fällt so in die Hände der Terror- und Separatistenorganisationen. In ihnen wird das fundamentalistische Denken gestärkt. Sie werden für Selbstmordanschläge im Namen der Religion vorbereitet. Die irakische Gesellschaft ist tagtäglich mit solchen Extremisten konfrontiert.

Kinos, Lokale mit Alkoholverkauf, Sportanlagen, Schwimmbäder, Kunststätten, Frisörläden und Physiotherapiepraxen sind für die Fundamentalisten „Stätten des Verderbens westlicher Art“. Deshalb droht ihnen Vernichtung. Musiker, die ihre Instrumente auf offene Straße tragen, setzen ihr Leben aufs Spiel. Kritische Journalisten/innen, die Beiträge gegen die Regierung veröffentlichen, werden erpresst und bedroht.

Frauenrechte werden tagtäglich mit Füßen getreten. Angeblich unsittliches Verhalten wird mit Erpressung und Bestrafung geahndet, wie zum Beispiel das Nichttragen des Kopftuchs. Frauen werden zu unmenschlichen Beschneidungen gezwungen und sterben oft daran. Aus diesem Grund sind Tausende von jungen Frauen traumatisiert. Selbstmorde von Frauen sind alltäglich geworden

Auch nach dem Abzug der US-Soldaten Ende 2011 blieben 5.000 Private Sicherheitsleute, 16.000 Angestellte für die US-Vertretung sowie von Subunternehmen für die Sicherheit der Ölexporte im Land.

Dr. Hikmat al-Sabty (* 1. Juli 1954) ist seit 2011 Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Sabty ist gebürtiger Iraker und lebt in Rostock. Er studierte an der Universität Göttingen Agrarwissenschaften und wurde 1989 an der Universität Bonn promoviert Er gehört dem Landesvorstand der Partei DIE LINKE[2] und dem Sprecherrat von Migranet an. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2011 wurde er erstmals in den Landtag gewählt. Im Sommer 2011 beteiligte er sich an der Aktion »Willkommen in Palästina.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.