Falsche Signale für die Bundeswehr
Völkerrechtler Andreas Schüller über das Bombardement von Kundus, die fehlende juristische Aufarbeitung und Auswirkungen auf laufende Einsätze
nd: Vor dem Landgericht Bonn wird heute über die Konsequenzen des von der Bundeswehr befohlenen Bombenangriffs auf zwei Tanklastwagen nahe der afghanischen Stadt Kundus verhandelt. Was kann dieses Verfahren bringen?
Schüller: Als Menschenrechtsorganisation hoffen wir in erster Linie, dass ein solcher Prozess zur Wahrheitsfindung beiträgt. Außerdem hoffen wir, dass die rechtliche Verantwortung für diesen tödlichen Bombenangriff geklärt wird. Vor dem Landgericht Bonn geht es ja nun um Entschädigungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland und nicht um eine strafrechtliche Verurteilung einzelner Personen.
Bei dem Verfahren geht es um Fragen von Vorsatz und Fahrlässigkeit nach deutschem Zivil- und Strafrecht. Muss sich der verantwortliche Bundeswehroberst Georg Klein denn nicht auch vor dem humanitären Kriegsvölkerrecht verantworten?
Das humanitäre Kriegsvölkerrecht wird auch von den deutschen Gerichten und Juristen berücksichtigt, es ist also auch im deutschen Recht anwendbar. In dem Kundus-Prozess geht es vor allem aber um die Interpretation dieser Regeln. Und dabei gibt es einige Streitpunkte.
Welche Streitpunkte?
Es geht im Kern um den Vorsatz, der nachgewiesen werden muss. Zudem spielt in der juristischen Diskussion eine Rolle, inwieweit flankierende Regelungen des humanitären Völkerrechtes wie zum Beispiel Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff berücksichtigt werden müssen.
Nun haben sich deutsche Instanzen in dem Streitfall bislang eher ablehnend verhalten. Der verantwortliche Oberst Klein könnte noch während des laufenden Verfahrens womöglich zum Brigadegeneral befördert werden. Weist das nicht auf eine Wagenburgmentalität hin?
Man muss unterscheiden zwischen dem Strafverfahren gegen einzelne Personen und dem Zivilverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland als Verantwortliche. Im Strafverfahren ist es schon erstaunlich, dass es von der Bundesanwaltschaft nach einer wirklich sehr kurzen Ermittlungszeit wieder eingestellt wurde. Es wurde auch nicht ermittelt, was vor Ort eigentlich passiert ist. Stattdessen wurde das Ermittlungsverfahren aufgrund der Aussagen der beiden Beschuldigten und zwei weiterer Zeugen eingestellt. Diese Eile verwundert uns schon und deswegen haben wir auch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, damit dies noch einmal geprüft wird. Das zivilrechtliche Verfahren läuft dazu parallel und muss daher auch getrennt betrachtet werden.
Inwieweit wären internationale Gerichte anrufbar, wenn die Verfahren in Deutschland weiterhin keine Konsequenzen haben?
Theoretisch wäre der Internationale Strafgerichtshof zuständig. Allerdings hat dieses Gericht relativ hohe Hürden, bevor es einen Fall annimmt. Die Chancen sind deswegen derzeit gering. Man muss auch beachten, dass der Internationale Strafgerichtshof meistens keine Einzelfälle prüft, sondern sich einen Gesamtkontext anschaut. Dennoch besteht theoretisch die Möglichkeit, diesen Weg zu beschreiten. Dann würde auch geprüft, ob deutsche Behörden ausreichend ermittelt haben.
Die Bundeswehr ist nicht nur in Afghanistan im Einsatz, sondern an gut einem Dutzend weiterer Missionen beteiligt. Welche Auswirkungen kann das laufende Kundus-Verfahren auf diese Einsätze haben?
Bisher ist ja juristisch noch nicht allzu viel geschehen, was sehr bedauerlich ist. Schließlich wird auch den Soldaten im Einsatz dadurch eine nötige Rechtssicherheit verweigert, weil die Entscheidung der Bundesanwaltschaft gerichtlich nie überprüft wurde. Die Vorbereitung der Beförderung von Oberst Klein setzt unserer Meinung nach in dieser Situation ein falsches Zeichen. Es ist eben nicht so einfach zu sagen, dass hier juristisch keine Schuld nachzuweisen war. Es kann nun passieren, dass ein Zerrbild entsteht, das derzeit und künftig mobilisierte Bundeswehrsoldaten im Einsatz in die Irre führt.
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