Zurück in die Stein(er)zeit
Nach Matthias Steiners Rücktritt wagen die Gewichtheber den Neuanfang
Matthias Steiner will nach seinem Rücktritt vor allem eins: Abnehmen. Ganz verschwinden wird der einstmals stärkste Mann der Welt nicht. Im Sommer will der SWR die nächste Folge der TV-Spielshow »Steiner gegen alle« ausstrahlen. Dann wird der womöglich schlankere Herkules wieder gegen eine ganze Stadt antreten - und seinen Hantelsport zumindest noch indirekt wieder in Erinnerung rufen.
»Mit dem Karriereende von Matthias Steiner endet auch unter dem Gesichtspunkt der Werbewirksamkeit eine Ära, die dem Verband sehr gut getan hat«, sagt der neue Sportdirektor Frank Mantek mit viel Wehmut. Er war bis zuletzt Trainer des Superschwergewichtlers, der dem von Dopingskandalen belasteten Sport in Deutschland ein sympathisches Gesicht gegeben hatte. Spätestens seit dem Olympiasieg 2008, als Steiner das Bild seiner verstorbenen Frau Susann in die Kameras gehalten hatte, war die Wahrnehmung des Gewichthebens hierzulande fast synonym mit dem Namen Steiner. Er war auch bei Olympia 2012 der Mann für die dramatischen Bilder, als ihm eine 196-Kilogramm-Hantel in den Nacken fiel und er dabei glücklicherweise unverletzt blieb.
Doch was passiert nach seinem Abschied? Vieles spricht für eine Rückkehr in die Zeit, bevor sich der gebürtige Österreicher zu einem Wechsel ins große Nachbarland entschlossen hatte. Die anstehenden Europameisterschaften vom 8. bis 14. April in Tirana werden nur Experten interessieren. Zumal sich das deutsche Team mittlerweile mitten in einem Generationswechsel befindet. Auch andere Leistungsträger wie Almir Velagic (Olympia-Achter in London) oder Ex-Europameister Jürgen Spieß (Neunter) kommen langsam in die Jahre. Selbst Tom Schwarzbach, im vergangenen Jahr Europameister, wird bei den nächsten Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro mit 30 schon Steiners Rücktrittsalter erreicht haben.
»Deshalb gilt unser Augenmerk dem Neuaufbau einer jungen, leistungsstarken Mannschaft«, verrät Mantek. Den soll Oliver Caruso als neuer Bundestrainer bewerkstelligen. Der Nachfolger von Mantek rechnet nach den goldenen Steiner-Jahren mit einer längeren Phase ohne größere deutsche Erfolge. Als ersten wichtigen Wettkampf bezeichnet er die WM 2014. Die nächsten Sommerspiele sieht er nur als Zwischenstation und meint: »Bis 2020 sollten die jüngeren Sportler so weit entwickelt sein, dass sie um Olympiamedaillen mitkämpfen können.« Caruso weiß, wovon er redet, schließlich hat er 1996 in Atlanta selbst Olympiabronze gewonnen.
Medial wird das Gewichtheben also mangels Erfolgsaussichten zurück in die Steinzeit fallen. Finanziell kann der deutsche Verband wohl trotzdem im gleichen Umfang planen. Weder die verpasste Medaille Steiners von London noch sein Rückzug hätten an der »finanziellen Unterstützung unserer Hauptgeldgeber« etwas geändert, so Mantek. Und es bleibt ja noch die Hoffnung, dass man Matthias Steiner als Werbefigur oder sogar als Trainer in die Verbandsarbeit einbinden kann. Er wolle »dem Sport in jedem Fall verbunden bleiben«, sagt Steiner. Zunächst kümmere er sich aber vor allem um seine Frau Inge und die beiden kleinen Söhne. Und mehr Tennis spielen wolle er auch - wenn er abgenommen hat.
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