- Kommentare
- Thema: Nahost-Politik der USA
Am Verhandlungstisch ist meist Endstation
Washington hat weder eine Vision noch ein Konzept, um den Frieden im Nahen Osten zu befördern
Es klingt so einfach: »Ich möchte meine Verwandten in Dschenin besuchen«, schrieb ein Achtjähriger aus Bethlehem in einem Schulaufsatz über das Thema »Träume«; »dass die Soldaten nach Hause gehen«, wünschte sich eine Mitschülerin. Auf der anderen Seite, in Israels Schulen, berichten die Lehrer derweil, dass die Schüler häufiger fragen, warum die Verhältnisse in Palästina so sind, wie sie sind, seit US-Präsident Barack Obama vor kurzem während seines Besuches in Israel darüber gesprochen hat, wie die Kinder auf der anderen Seite leben. Fragen, auf die die Lehrer keine zufriedenstellenden Antworten haben, weil das, was so einfach scheint, tatsächlich unbeschreiblich schwierig ist: Schwierig, weil der Weg von Bethlehem nach Jericho an dem durch Mauer und Kontrollposten vom Westjordanland abgetrennten Ost-Jerusalem vorbei durch viele Checkpoints führt. Schwierig aber auch, weil es längst keine verständliche Begründung dafür gibt, warum das so ist.
Das müsse so sein, um die Sicherheit israelischer Staatsbürger zu schützen, sagen die Sprecher der israelischen Regierung. Doch beim Militär verweigert man offiziell den Kommentar und klagt inoffiziell darüber, dass dieses System aus Kontrollposten, das mit dem Beginn der zweiten Intifada unter dem sozialdemokratischen Premierminister Ehud Barak seinen Anfang nahm, Truppen binde und dennoch nur die Aggressionen weiter schüre.
Und dies ist nur ein kleiner, vielleicht sogar der kleinste Teil des Problems, vor dem US-Außenminister John Kerry zurzeit steht. Ihn und seine Diplomaten hat nach der Rede Obamas in Jerusalem die Aufgabe ereilt, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, doch die Fragen, die im Raum stehen, sind dieselben geblieben, die sie immer schon waren: Siedlungen, Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem - Streitpunkte mit tiefer emotionaler Bedeutung für beide Seiten. Und dann der Punkt: Sicherheit für den jüdischen Staat. Daran ist in der Vergangenheit am Ende doch alles gescheitert.
Immer wieder touren Kerry und sein Tross zurzeit durch den Nahen Osten. Am Montag wird das Team wieder in Jerusalem und Ramallah erwartet. Und vor allem an letzterem Ort fragt man sich, was denn nun anders geworden sein könnte, nach all den teils euphorischen Reaktionen auf Obamas Worte vor den israelischen Studenten.
Denn eine Vision ist auch heute noch ebenso wenig zu erkennen wie die Fähigkeit, eine durchzusetzen. Kerry sei zurzeit in der Phase, in der er die Optionen auslote, nach »Fenstern der Gelegenheit« suche, von denen man überzeugt sei, dass es sie gebe, sagt Victoria Nuland, die Sprecherin des Außenministeriums. »Die Gespräche mit den Beteiligten sind bisher sehr positiv verlaufen.« Nun gehe es zunächst einmal darum, Vertrauen aufzubauen. In »zwei, vielleicht drei« Monaten wolle Kerry einen Plan vorlegen, der »hoffentlich« beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückbringen werde.
Nur: Selbst wenn das passieren sollte, ist nicht gesagt, dass das einen Fortschritt bringen würde. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass am Verhandlungstisch meist Endstation ist - es war in Madrid Anfang der 90er Jahre so, und es war in Camp David 2000 so, und später auch in Annapolis. Wenn Abkommen unterzeichnet wurden, wie in Oslo, oder dann in Wye 1998, wurden sie stets nur teilweise umgesetzt. Und in den vergangenen Jahren war sogar bereits vorher Schluss.
So hat das sogenannte Nahost-Quartett, ein Gremium aus Vereinten Nationen, USA, Europäischer Union und Russland, der Welt zwar eine »Straßenkarte zum Frieden« und Großbritanniens Expremier Tony Blair einen Job verschafft. Doch was in den gut zehn Jahren seines Bestehens genau passiert ist, können weder die Sprecher der vier beteiligten Staaten und Organisationen noch Blair selbst erklären.
Und dennoch: Das Weiße Haus sieht das Wye-Abkommen, in dem sich Israel, grob umrissen, dazu verpflichtete, einen Teil von Gebiet C (unter vollständiger israelischer Kontrolle) im Gegenzug für ein effektives Vorgehen gegen militante Gruppen an die Palästinensische Autonomiebehörde zu übergeben, nicht als kompletten Reinfall. Immerhin habe Israel tatsächlich Gebiete an die Palästinenser übergeben, bevor die weitere Umsetzung abgebrochen wurde, sagt ein Sprecher Obamas. Der verweist zudem darauf, dass sich die Vorzeichen, die damals dazu geführt haben, dass die Vereinbarungen nicht zu Ende geführt wurden, nun geändert hätten: Der damalige Palästinenserpräsident Yasser Arafat sei tot, die palästinensische Politik, die palästinensischen Institutionen seien gereift, besser dazu in der Lage, Vereinbarungen auch umzusetzen. »Möglicherweise waren die Erwartungen an die Fähigkeiten der damals noch jungen Autonomiebehörde zu hoch.« Und dann: »Netanjahu hat damals in seiner ersten Amtszeit gezeigt, dass er ein Verhandlungspartner ist und dass er auch bereit ist, notwendige Schritte zu unternehmen.«
Würde er es noch einmal machen? »Ich bin fest davon überzeugt, dass der Premierminister an Fortschritten im Friedensprozess interessiert ist«, sagt Zippi Livni, Justizministerin und in der Regierung für Verhandlungsfragen zuständig: »Meine Partei und ich wären nicht in die Regierung eingetreten, wenn wir das Gefühl gehabt hätten, ein Feigenblatt zu sein.«
Könnte er überhaupt? Im Grunde ja. Zwar sitzt auch die Siedlerpartei HaBajit HaJehudi in der Regierung und erklärt seit Obamas Rede immer wieder, Israels Wähler hätten sich gegen die Zweistaatenlösung entschieden, indem sie sich für diese Regierung entschieden haben. Doch ein Blick auf die politische Landschaft zeigt ein anderes Bild. Tatsächlich lehnen nur HaBajit HaJehudi sowie Teile von Netanjahus Parteienbündnis Likud / Jisrael Beitenu Verhandlungen und Zweistaatenlösung ab. Eine sehr bequeme Mehrheit im Parlament ist mindestens für Verhandlungen, eine hauchdünne Mehrheit sogar für die Anerkennung eines Staates Palästina, seit die ultraorthodoxe Partei Schas, die bisher im rechten Spektrum verortet wurde, vor einigen Wochen für ein Friedensabkommen Position bezog.
Nur: Momentan ist das nicht mehr als ein Schlagwort ohne Inhalt. Denn der Weg nach Palästina führt über Grenzen, über die bisher noch kein gangbarer Weg gefunden ist. Ideen, entwickelt von Universitäten, Politikern und Nichtregierungsorganisationen, gibt es zwar viele, und jeden Tag kommen neue hinzu. Komplette Grenzverläufe wurden so schon entwickelt. Und Konzepte für getrennte Verwaltungen in Ost- und West-Jerusalem, ohne die Stadt physisch zu teilen, sind sogar auf beiden Seiten bereits als machbar anerkannt.
Keine Überlegungen gibt es allerdings für das palästinensische Recht auf Rückkehr. Israel möchte seine jüdische Bevölkerungsmehrheit schützen, Palästina pocht auf die Beseitigung eines historischen Unrechts. Es ist ein hoch emotionaler Streitpunkt, dessen Art der Beilegung einen erheblichen Anteil daran hätte, ob die Bevölkerung ein Abkommen unterstützt.
Und für die Siedlungen sind gar keine Lösungen in Sicht: Bei einem Abkommen müssten selbst, wenn die großen Siedlungsblöcke erhalten blieben, mehrere Hunderttausend Menschen umziehen. Das ist zunächst einmal ein gigantisches logistisches Problem. Innerhalb kürzester Zeit müssten Tausende Häuser gebaut und dabei der Lebensstil der Menschen gesichert werden. Denn nach der Räumung Gazas 2005 war genau dies der Punkt, der die Stimmung in der israelischen Öffentlichkeit zum Kippen brachte. Die Menschen wohnen teils noch heute in Wohnwagen.
Doch das politische Risiko finge schon bei der Räumung an. Es ist zu erwarten, dass viele Siedler nicht freiwillig gehen werden. Und Juden, die von Soldaten aus ihren Häusern getragen werden, sind erst recht großen Teilen der Öffentlichkeit nicht zu verkaufen - nicht in Israel. Und auch nicht in den Vereinigten Staaten, wo ein erheblicher Teil sowohl der christlichen als auch der jüdischen Wählerschaft eine tiefe Verbundenheit mit dem jüdischen Staat verspürt.
Würde es ein US-amerikanischer Politiker, möglicherweise mit Ambitionen auf die Präsidentschaft, versuchen? Gegenwärtig scheint es wahrscheinlicher, dass sich die derzeitige Nahost-Mission am Ende auf die Dinge des Alltags konzentriert haben wird: eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Palästina. Und vielleicht auch auf den Abbau der Checkpoints.
Oliver Eberhardt:
Jahrgang 1973, hat in London Nahostwissenschaften studiert und in Jerusalem in Kriminalwissenschaften promoviert, nachdem er zuvor das journalistische Handwerk als Lokaljournalist im Rhein-Main-Gebiet gelernt hatte. Seit zehn Jahren berichtet er über Israel und Palästina und versucht, das Akademische mit dem Journalistischen zu verbinden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.