Chemiewaffen im Visier
Überprüfungskonferenz zur Verbotskonvention tagt in Den Haag
Gleich neben der Tagungsstätte in Den Haag befindet sich das Gebäude der Kontrollorganisation »Organization for the Prohibition of Chemical Weapons« (OPCW) des im April 1997 in Kraft getretenen Abkommens. Sie überwacht die Vernichtung von Chemiewaffen wie auch ihrer Produktionsanlagen. Internationale Kontrolleure inspizieren darüber hinaus die zivile Chemieindustrie und Forschungslabors. Außerdem unterstützt die Organisation ihre Mitgliedstaaten bei der Abwehr möglicher Giftgasangriffe und untersucht Verdachtsfälle der verbotenen Anwendung von Chemiewaffen wie zurzeit in Syrien. Schließlich fördert die OPCW auch die friedliche Kooperation bei der chemischen Forschung und Entwicklung.
Der Konvention gehören gegenwärtig 188 Staaten an, es fehlen jedoch Angola, Ägypten, Nordkorea, Süd-Sudan, Syrien und Somalia. Zwei weitere Länder - Israel und Myanmar - haben die Konvention unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Verboten ist sowohl die Anwendung von Giftgasen als auch die Herstellung und der Besitz; vorhandene Bestände müssen vernichtet werden. Das ist mit rund 56 800 der ursprünglich 71 000 Tonnen chemischer Waffen geschehen, was etwa 80 Prozent ausmacht. Eigentlich aber sollte diese Aufgabe bereits nach zehn Jahren und selbst mit Fristenverlängerung spätestens im Vorjahr erfüllt sein. 99 Prozent sollen nun nach jüngsten Angaben bis 2017 beseitigt sein; doch es wird noch bis mindestens 2023 dauern, bevor die USA ihre letzten Bestände vernichtet haben werden. Und auch danach wird die Welt noch nicht frei von diesen verheerenden Massenvernichtungswaffen sein.
Neben den bekannten Chemiewaffenbesitzern werden noch weitere Staaten verdächtigt, insgeheim derartige Waffen zu besitzen oder an entsprechenden Forschungen und Entwicklungen zu arbeiten. Die Experten vom Washingtoner Stimson Center zählen zu ihnen Ägypten, Äthiopien, China, Iran, Israel, Nordkorea, Myanmar, Pakistan, Serbien, Sudan, Syrien, Taiwan und Vietnam. Das Hauptproblem für eine von Chemiewaffen vollständig befreite Welt liegt im Nahen Osten. Während arabische Staaten ihre Verweigerung mit dem Atomwaffenbesitz Israels begründen, will Jerusalem das C-Waffenverbot erst ratifizieren, wenn alle Länder der Region beigetreten sind.
Internationale Kontrollen müssen auch in der zivilen Chemieindustrie stattfinden, weil Anlagen relativ einfach für Chemiewaffenzwecke umgerüstet werden können. Denn viele Chemikalien besitzen einen sogenannten Dual-Use-Charakter - sie sind sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke nutzbar. So können Ausgangsstoffe für Dünger, Pflanzenschutz- oder Insektenbekämpfungsmittel auch zu Herstellung von chemischen Kampfstoffen missbraucht werden. Zugleich müssen Verifikationsmethoden an neue Entwicklungen von Wissenschaft und Technik, aber auch an die Gefahr von Terroranschlägen mit Giftgasen angepasst werden.
Gefahrenherde sind neben den aktuellen Arsenalen vor allem die riesigen Mengen Chemiewaffen, die aus vergangenen Kriegen in aller Welt zurückgeblieben sind. Japan ist zurzeit mit der Räumung von mehr als einer Million Stück Munition der zwischen 1937 und 1945 in China eingesetzten Chemiewaffen beschäftigt. Auch in Deutschland gibt es Sorgen über das giftige Erbe. So lagern Medienberichten zufolge vor der Küste Helgolands auf dem Meeresgrund bis zu 6000 Giftgasgranaten mit der hochtoxischen Substanz Tabun. An der deutschen Nordseeküste liegen nach Expertenschätzungen bis zu 1,3 Million Tonnen Weltkriegsmunition.
Nicht nur bei der Waffenbeseitigung bleibt noch viel zu tun. Auch neue wissenschaftliche und technische Entwicklungen wie die Nanotechnologie und die biologische Produktion neuer hochgiftiger Chemikalien geben Anlass zur Sorge. Umso wichtiger ist es, zu verhindern, dass Grauzonen der der Bio- und der Chemiewaffen-Konventionen militärisch missbraucht werden. Beunruhigend ist zudem das wachsende Interesse von Polizei, Sicherheitsdiensten und Terroristen an »nicht-tödlichen« chemischen Kampfstoffen wie Betäubungsmittel und psychoaktive Drogen. Besorgnis erregen Berichte über die Entwicklung prinzipiell neuer nervenschädigender Giftstoffe, die von der Konvention bisher nicht erfasst sind. Generell kommt es darauf an, wissenschaftliche Erkenntnisse vorausschauend auf ihre Auswirkungen auf das C-Waffen-Verbot einzuschätzen.
Eine wichtige Aufgabe der heute beginnenden Konferenz besteht darin, eine strategische Orientierung zu vereinbaren. Bisher sind sich die Mitgliedstaaten nicht darüber einig, wie sich die Organisation langfristig profilieren soll. Während die Industriestaaten das Schwergewicht auf die Kontrolle und Nichtverbreitung setzen, fordern die Entwicklungsländer eine Ausweitung der Kooperation in der friedlichen Chemieindustrie. Es geht um die Balance zwischen wirksamer Kontrolle des C-Waffenverbots und freiem Handel wie ungehinderter Kooperation der Chemieindustrie.
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